Hongkong-Konflikt Merkel spricht bei China-Reise Menschenrechte an

Wuhan · Kanzlerin Merkel warnt China vor einer „Katastrophe“ in Hongkong, aber würdigt die Öffnung des Landes.

Angela Merkel steht auf der riesigen Brücke über dem Chang Jiang und schaut von dort oben auf den gewaltigen Fluss, den Mao Tsetung einst zur Demonstration seiner Macht und Stärke durchschwamm. Da war der chinesische Staatsgründer 73 Jahre alt. Bisher hatte die Kanzlerin nur aus dem Flugzeug auf das Gebiet in Zentralasien geschaut und sich vorgenommen, die Metropole Wuhan auch vom Boden aus zu erleben. Während ihrer zwölften China-Reise macht sie am Samstag einen Abstecher dorthin. Merkel ist 65 Jahre alt, sie muss ihre Stärke nicht mehr beweisen. Sie hat schon ihren Ausstieg aus der Politik bis 2021 angekündigt. Für sie geht es darum, nicht ihre eigene Macht, sondern den Einfluss ihres Landes zu sichern.

Mit elf Millionen Einwohnern, darunter mehr als eine Million Studenten, ist Wuhan die sechstgrößte Stadt Chinas und hat den größten Binnenhafen des Landes. Als Helmut Kohl 1984 nach Wuhan reiste, lebten dort drei Millionen Menschen. Heute sind es elf Millionen. Merkel sagt, wer das Land verstehen will, muss sehen, in welcher Geschwindigkeit riesige Wolkenkratzer entstehen, Straßen gebaut und ausländische Investitionen ins Land geholt werden.

Fast in jedem Jahr ihrer Kanzlerschaft ist sie nach China gereist. Ihre Einstellung zum Reich der Mitte ist ambivalent. Wenn sie die Probleme als Regierungschefin in Deutschland mit 80 Millionen Einwohnern mit denen der Staatsspitze in Peking mit knapp 1,4 Milliarden Menschen vergleicht, wirkt sie demütig. Wenn sie betrachtet, mit welch restriktiven Mitteln Peking an das Know-how der deutschen Wirtschaft versucht heranzukommen, wird sie vorsichtig. Und wenn in der autonomen Sonderverwaltungszone Hongkong eine überzogene chinesische Einmischung droht, geht sie auf Distanz. Staatspräsident Xi Jinping und Ministerpräsident Li Keqiang, die sich wiederum eine Einmischung in innere Angelegenheiten verbitten, nehmen das bei Merkel hin. Sie kennen sie. Und sie schätzen sie. Auch wenn sie beim Thema Menschenrechte standhaft bleibt.

So greift Merkel mit Blick auf die seit Monaten anhaltenden Demonstrationen in Hongkong gegen politischen Einfluss aus China zu einer drastischen Formulierung: „Ich habe dafür geworben, dass Konflikte gewaltfrei gelöst werden, und dass alles andere aus meiner Sicht eine Katastrophe wäre.“ Ob Xi und Li auf sie hören werden? „Man hat mir zugehört“, sagt die Kanzlerin in Wuhan und legt noch nach: Hongkong sei bei Weitem nicht der einzige internationale Konflikt, es gebe auch viele andere Menschenrechtsfragen in China.

Wichtig sei aber, „immer im Gespräch zu bleiben“, betont sie. So hält sie es auch mit der jungen chinesischen Generation. An der Huazhong-Universität spricht sie mit Studierenden, die wie einstudiert nach jeder Antwort von Merkel kräftig klatschen. Als aber die Sprache auf das soziale Bonussystem in China fällt, das persönliche Verfehlungen der Bürger bis zur Missachtung einer roten Ampel anprangert, ist der Applaus verhalten. In Deutschland sagten einige dazu: „Das ist ja ganz schrecklich“, berichtet Merkel. Sie verweist auf die deutsche Rechtsprechung, wonach persönliche Daten zum Eigentum der Menschen gehörten, und stimmt auf eine „ethische Dimension ein, die uns noch sehr beschäftigen wird“. Nichts, was chinesische Funktionäre gern hören. Eine junge Frau sagt später leise, dass sie in Deutschland studiert habe und sich zurücksehne.

Merkel würdigt zugleich die zunehmende Öffnung Chinas und kritisiert, ohne ihn namentlich zu nennen, US-Präsident Donald Trump für seine wirtschaftliche Abschottung. „Protektionismus schadet am Ende uns allen“, warnt sie. Sie schließt ihre Rede mit einem Dreiklang, wie sie sich die internationale Zusammenarbeit vorstellt: „global statt national, weltoffen statt isolationistisch, gemeinsam statt allein“. Und dann sagt die Naturwissenschaftlerin, die in der DDR aufwuchs, noch: „Mich leitet die Erfahrung, dass Veränderung zum Guten möglich ist.“

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