Euro-Krise Merkel fordert neuen EU-Vertrag ohne Konvent

BRÜSSEL · Um ihre Beliebtheit bei den europäischen Kolleginnen und Kollegen scheint sich Bundeskanzlerin Angela Merkel wenig Gedanken zu machen. Noch vor dem Ende der Sommerpause holte die Regierungschefin zum nächsten Schlag gegen die Krise aus.

Damit Schuldenbremse und Fiskalpakt auch tatsächlich unwiderruflich gelten, solle die EU zu einer politischen Union ausgebaut werden, forderte sie. Die Konsequenzen wären hart, so hart, dass diese Idee erst einmal zurückgestellt würde: In einer solchen Union könnte der Europäische Gerichtshof in Luxemburg nämlich die nationalen Haushalte überwachen und Schuldensünder notfalls auch gleich abstrafen. In Europas Hauptstädten reagierte man mit Kopfschütteln.

Der Vorstoß stößt dagegen in Brüssel auf viel Unterstützung, schließlich bemühen sich Kommissionsvertreter und Abgeordnete des Europäischen Parlamentes schon seit längerem, die Defizite des derzeit geltenden Lissabonner Vertrages auszumerzen. So bestehen die Parlamentarier vor allem darauf, dass die Europäische Volksvertretung nicht länger ausgebootet werden kann, wenn die Regierungen unbequeme Abstimmungen fürchten - wie dies beispielsweise beim Umbau der Schengen-Zone der Fall ist. Da hatten die Innenminister das Straßburger Plenum kurzerhand für nicht zuständig erklärt. In Kommissionskreisen träumt man von der Aufwertung zu einer europäischen Regierung. Die Jobs der beiden Präsidenten von Kommission und Rat könnten zu einem Amt zusammengefasst, die bisherige Außenbeauftragte im zweiten Anlauf zur EU-Außenministerin geadelt und der Job des Währungskommissars mit dem des Euro-Gruppen-Chefs zu einem EU-Finanzminister verschmolzen werden. Für mehr Bürgerbeteiligung würde dann - spätestens 2020 - eine Direktwahl des europäischen Präsidenten sorgen.

Doch der Weg dahin ist weit und steinig. Merkels Vorstoß fand im Kreis von zehn Außenministern, die derzeit unter Leitung von Guido Westerwelle ebenfalls ein Zukunftspapier über die künftige Gestalt der EU ausarbeiten, keine Gegenliebe. Polen bezweifelt, dass ein solcher Kompromiss möglich ist, Irland fürchtet ein nächstes Referendum. Vollends in die Nesseln setzte sich Merkel aber mit dem Satz "Ich fordere keinen neuen Konvent". Dieses über 100 Politiker starke Gremium aus EU- und nationalen Abgeordneten sowie Regierungsvertretern hatte in den Jahren 1999 bis 2002 zunächst die Grundrechtecharta und dann die Europäische Verfassung ausgearbeitet, die mangels Mehrheit schließlich zum Lissabonner Vertrag zurechtgestutzt wurde.

Ein Verzicht auf einen solchen Konvent würden den Umbau der EU zur reinen Regierungssache machen, also ohne jede Beteiligung der Bürger. Dass das nicht gehen wird, hätte Merkel wissen müssen. "Weitergehende Kompetenzverlagerungen sind nur mit Beteiligung der Parlamente und damit nur mit einem europäischen Konvent möglich", musste sich Merkel von ihrem eigenen Europa-Berater, dem CDU-Außenpolitiker und Europa-Abgeordneten Elmar Brok, anhören. Inzwischen bemüht sich der Chef der Europa-Abteilung des Berliner Kanzleramtes, Nikolaus Meyer-Landrut, in EU-Kreisen Mehrheiten für einen Konvents-Beschluss beim Dezember-Gipfel zu finden. Alles andere, so heißt es in Brüssel, würde dem latenten Verdacht undemokratischer Strukturen auf EU-Ebene neue Nahrung geben.

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