Kommentar zur Zusammenarbeit von Türkei und Russland Kurswechsel

Meinung | Bonn · Mit einer flexibleren Haltung der Türkei hinsichtlich der Rolle von Assad wäre ein Ende des Krieges nicht mehr völlig ausgeschlossen.

 Der Syrien-Konflikt destabilisiert die Türkei. Das weiß auch Präsident Erdogan.

Der Syrien-Konflikt destabilisiert die Türkei. Das weiß auch Präsident Erdogan.

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Mehr als fünf Jahre nach dem Ausbruch des Konfliktes beim südlichen Nachbarn Syrien leitet die Türkei einen überfälligen Kurswechsel ein. Ankara will nicht mehr wie bisher alles dem Ziel einer Ablösung des syrischen Staatschefs Assad unterordnen und sucht die Zusammenarbeit mit Akteuren wie Russland und Iran: Nach seinem Besuch in Russland vergangene Woche plant Präsident Erdogan laut Medienberichten jetzt eine Reise nach Teheran.

Mit den neuen Bemühungen gesteht Erdogan zum einen indirekt das Scheitern seiner bisherigen Haltung ein. Zum anderen reagiert er auf die Tatsache, dass der Syrien-Krieg immer mehr zu einer Bedrohung für die Türkei selbst wird.

Zu Beginn des syrischen Bürgerkrieges war die Regierung in Ankara ganz sicher, dass Assads Tage an der Macht gezählt seien – Assads alawitische Elite werde nicht Krieg gegen das ganze Volk führen können.

Erdogan ließ sunnitische Rebellengruppen, darunter auch extremistische Milizen, in der Hoffnung unterstützen, damit die Entmachtung seines früheren Partners in Damaskus zu beschleunigen. Spätestens seit der Militärintervention Russlands auf der Seite von Assad wurde dieser Plan zur Makulatur.

Inzwischen destabilisiert der Syrien-Konflikt die Türkei selbst. Fast drei Millionen Flüchtlinge aus dem Nachbarland müssen versorgt werden, der Islamische Staat (IS) verübt blutige Anschläge auch auf türkischem Boden, die syrischen Kurden festigen ihre Macht entlang der türkischen Südgrenze und bereiten – so die Sorge in Ankara – die Bildung eines eigenen Staates vor.

Besonders die kurdische Autonomie und die Unterstützung der USA für die Kurden sorgen in jüngster Zeit für Alarmstimmung in der türkischen Hauptstadt: Südlich der türkischen Grenze entstehe ein kurdischer Gürtel, der die Türkei vom Rest des Nahen Ostens trennen werde, befürchten Erdogan-Anhänger.

Ganz einfach wird auch die neue Syrien-Politik für Ankara nicht. Nachdem Erdogan lange die Ablösung Assads gefordert hat, riskiert er bei der syrischen Exilopposition und sunnitischen Gruppen wie den Muslimbrüdern einen erheblichen Glaubwürdigkeitsverlust, wenn er diese Position jetzt aufgibt.

Eine türkische Annäherung an den Iran im Zuge der neuen Syrien-Haltung dürfte zudem das Misstrauen sunnitischer Akteure wie Saudi-Arabien wecken. Vorerst aber hat Erdogan keine Alternative zum neuen Kurs. Er hat die Türkei in den vergangenen Jahren mit seiner verfehlten Syrien-Politik in eine Sackgasse gesteuert, aus der er nur mit einer Kehrtwende wieder herauskommt.

Mit einer flexibleren Haltung der Türkei hinsichtlich der Rolle von Assad wäre ein Ende des Krieges nicht mehr völlig ausgeschlossen. Das ist nicht viel an Hoffnung – aber mehr, als es seit Langem gegeben hat.

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