Juso-Chef im GA-Interview Kühnert: „So erlebt die Koalition 2021 nicht“

Bonn · Juso-Chef Kevin Kühnert ist zu einer Art Politpopstar geworden. Im GA-Interview spricht der 29-Jährige über eine Regierung im Krisenmodus und die Erneuerung der SPD.

 „Wir brauchen deutlich mehr Investitionen. Von der schwarzen Null können wir uns nichts kaufen“, sagt Kevin Kühnert.

„Wir brauchen deutlich mehr Investitionen. Von der schwarzen Null können wir uns nichts kaufen“, sagt Kevin Kühnert.

Foto: Benjamin Westhoff

Vor der Tür zum Hörsaal 1 der Bonner Uni wartet ein Dutzend junger Studentinnen. Als Juso-Chef Kevin Kühnert von der Podiumsdiskussion der Bonner Akademie kommt, beginnen sie zu kreischen, hüpfen um ihn herum und lassen nicht locker, bis sie ihre Fotos haben. Ein paar Minuten später sprach mit Kühnert Bernd Eyermann.

Kevin Kühnert, der Politpopstar – erleben Sie solche Reaktionen oft?

Kevin Kühnert: Das ist mittlerweile fast normal. Es zeigt, dass wir Jusos uns mit der NoGroko-Kampagne eine Öffentlichkeit erarbeitet haben, die es selten gibt für politische Jugendorganisationen und die Leuten Lust gemacht hat auf Politik. Insofern nehme ich es gelassen, weil es ein Kompliment für unsere politische Arbeit bedeutet.

Was ist von der NoGroko-Bewegung geblieben?

Kühnert: Viel mehr kritischer Geist in der SPD. Die Causa Maaßen wäre nicht noch mal aufgeschnürt worden, wenn es nicht starken Druck von uns, aber auch von anderen gegeben hätte. Die Stimmung war: Jetzt reicht es. Jetzt ist Schluss damit, für gemeinsame Entscheidungen in der Koalition Prinzipien der SPD über Bord zu werfen.

Sind Sie zufrieden mit der Lösung, dass Maaßen Sonderberater im Innenministerium geworden ist? Sie hatten ja erklärt: Eine Lösung, in der Maaßen in einem öffentlichen Amt verbleibt, ist keine Lösung.

Kühnert: Zufrieden wäre ich gewesen, wenn er zurückgetreten oder in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden wäre. Am Ende war für mich wichtig, dass er keine politische Entscheidungskompetenz hat. Er arbeitet nur zu, die Entscheidungen fallen alle im Kabinett. Das kann ich zähneknirschend hinnehmen.

Warum war der kritische Geist in der Causa Maaßen denn in der SPD-Parteispitze nicht vorhanden?

Kühnert: Ich glaube eher, dass diese Entscheidung Ausdruck von unfassbarem politischem Druck war, der sich im Berliner Kessel befindet. In dieser Verhandlungssituation hat die interne Logik der Politik, also des Ausgleichs der Interessen, überwogen gegenüber der mindestens genauso wichtigen politischen Logik nach außen, also wie kommt das an. Das hat viel damit zu tun, dass diese Koalition in kurzen Abständen große Krisen bewältigen muss.

Wie lange geben Sie der Koalition noch?

Kühnert: Wenn es so weiterläuft wie im letzten halben Jahr, erlebt die Koalition ihr natürliches Ende 2021 nicht. Die ganzen Versprechen von Stabilität und innerem Ausgleich, die angeblich nur mit dieser Koalition möglich seien, erscheinen doch ironisch, wenn man sich die Regierungsarbeit ansieht.

Fühlen Sie sich bestätigt in Ihrer Haltung, nicht in die Koalition einzutreten?

Kühnert: Die SPD hat demokratisch entschieden, in die Koalition zu gehen, und als Demokrat akzeptiere ich die Entscheidung. Ich habe keine Lust, jetzt vier Jahre rumzulaufen und bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu sagen, dass ich es ja angeblich besser gewusst habe. Aber ich werde auch nicht aus taktischen Gründen keine Kritik äußern, wenn ich glaube, dass Kritik angebracht ist. In der Causa Maaßen war das beispielsweise notwendig.

Wo ist eigentlich der Erneuerungsprozess der SPD geblieben?

Kühnert: Wir kommen da inhaltlich gut voran.

Das bekommt aber kaum einer mit.

Kühnert: Das höre ich auch bei vielen Terminen an der Basis. Deswegen ist die nächste Aufgabe, das, was da läuft, endlich mal sichtbar werden zu lassen.

Was läuft denn?

Kühnert: Unser Debattenportal ist jetzt online, sodass jedes Mitglied unmittelbar Einfluss nehmen kann. Im November haben wir ein zweitägiges SPD-Debattencamp, bei dem das Programm von den Mitgliedern bestimmt wird und nicht vom Willy-Brandt-Haus. Entscheidend wird sein, ob wir zum Parteitag 2019 die alten Fragen, die wie Ballaststeine an uns hängen, also Hartz IV, die Rentenfrage und die Steuerpolitik, so beantworten, dass danach alle in der SPD wissen, was Phase ist.

Was sollte denn in der SPD gelten?

Kühnert: Wir brauchen Reformen in unserem Steuersystem, damit sich die Schere zwischen Arm und Reich wieder schließt. Ob über eine Vermögensteuer oder eine andere Form der Erbschaftsteuer, da bin ich nicht dogmatisch. Bei der Rente befürchte ich, dass die gesetzliche Rente in sich zusammenfällt, wenn nicht in den nächsten Monaten Entscheidungen fallen. Sonst ist das der Beginn der Abschaffung des Sozialstaats, wie wir ihn kennen.

Düstere Aussichten.

Kühnert: Ja. Das Umlageverfahren genießt doch nur solange Vertrauen, so lange auch für die jüngere Generation eine Perspektive da ist. Die aber endet 2025. Danach ist alles offen. Außerdem brauchen wir deutlich mehr Investitionen. Wir erben eine marode Infrastruktur und von der schwarzen Null können wir uns nichts kaufen.

Welche Rolle wollen Sie im Erneuerungsprozess spielen?

Kühnert: Ich fühle mich in der Rolle eines Juso-Vorsitzenden, der mit einem selbstbewussten Verband ins Felde zieht, sehr wohl. Anfang des Jahres haben wir den Mund sehr weit aufgemacht. Jetzt müssen wir unter Beweis stellen, dass wir auch wirklich bessere Ideen haben. Mit Manuela Schwesig darf ich den Bereich Sozialpolitik, Hartz IV, Daseinsvorsorge, Zusammenleben, Integration miterarbeiten. Ich habe da an mich den hohen Anspruch, nicht nur die kleinen Schräubchen zu drehen, sondern auch die SPD aus ihrer selbst geschaffenen Gefangenschaft zu befreien, in die wir uns in den letzten 15 Jahren beim Thema Hartz IV hineinbegeben haben.

Und in zehn Jahren stehen Sie an der Parteispitze?

Kühnert: Ob man mir das glaubt oder nicht, mir reicht als politischer Antrieb, irgendwann einmal sagen zu können, dass ich dazu beigetragen habe, dass die Sozialdemokratie auf der Höhe der Zeit geblieben ist.

Sie wurden in den Medien anfangs oft als Rucksack tragender Milchbubi namens Kevin skizziert.

Kühnert: Süß, ne.

Fühlen Sie sich mittlerweile mehr ernst genommen?

Kühnert: Ich habe mich auch da schon ernst genommen gefühlt. Ich habe eine sehr gesunde Distanz zu solchen Zuschreibungen und kann das ganz gut ab. Ich habe damals gemerkt, dass es einen Solidaritätseffekt gegeben hat, nicht mit mir als Person, sondern damit, dass das doch nicht ernsthaft die Art und Weise sein kann, wie wir mit politischen Interessen junger Menschen in unserer Gesellschaft umgehen. Viel zu häufig ist das aber der Fall. Wenn ihnen im Betrieb oder in der Schule ihre Mitbestimmungsrechte weggenommen werden oder wenn zum Beispiel die Schülerzeitung zensiert wird.

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