Erdogans Geiseln Kritik an Erlass des türkischen Präsidenten

Istanbul · Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat sich offiziell dazu ermächtigt, über die Abschiebung von inhaftierten Ausländern oder deren Austausch gegen türkische Beschuldigte zu entscheiden.

 Baut seine Macht weiter aus: Recep Tayyip Erdogan.

Baut seine Macht weiter aus: Recep Tayyip Erdogan.

Foto: AP

Die Neuregelung ist Teil einer Reform, mit der Erdogan seine Kontrolle über den türkischen Geheimdienst MIT stärkt. Westliche Politiker wie Bundesaußenminister Sigmar Gabriel werfen Erdogan vor, inhaftierte Menschenrechtler, Journalisten und Geistliche als „Geiseln“ benutzen zu wollen.

Das Geheimdienstgesetz wurde ohne Parlamentsbeschluss geändert. Die Abschiebungsregelung war im Jahr 2015 auf Antrag der Opposition vom türkischen Verfassungsgericht verworfen worden – Erdogan führt sie jetzt per Erlass unter dem Ausnahmezustand trotzdem ein.

Laut dem Dekret können ausländische Häftlinge abgeschoben werden, wenn die nationale Sicherheit der Türkei oder die Interessen des Landes dies erfordern. Beteiligt an einer Entscheidung sind neben dem Staatspräsidenten noch das Außen- sowie das Justizministerium. Die Neuregelung sieht vor, dass ausländische Häftlinge in der Türkei „in ein anderes Land ausgeliefert oder gegen Untersuchungshäftlinge oder rechtskräftig Verurteilte, die sich in einem anderen Land befinden, ausgetauscht werden können“.

Mit der Neuregelung kann Erdogan beispielsweise den Austausch von inhaftierten Extremisten des Islamischen Staates (IS) gegen türkische Geiseln anordnen. Gleichzeitig könnten aber auch Vorschläge der Türkei für einen politisch brisanten Austausch von westlichen Häftlingen gegen türkische Regierungsgegner im Ausland näherrücken.

Mehrere deutsche Journalisten und Menschenrechtler sitzen teilweise seit Monaten in türkischen Gefängnissen. Darunter ist laut Bild am Sonntag auch ein 55-jähriger Pilger aus Schwerin, der im April festgenommen wurde und über dessen Fall bisher nicht berichtet wurde.

Erdogan beklagt immer wieder, dass Deutschland eine Auslieferung von mutmaßlichen kurdischen Extremisten und Anhängern der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen an die Türkei ablehnt. Zuletzt verlangte Ankara von Berlin die Überstellung von Adil Öksüz, eines ranghohen Mitgliedes der Gülen-Bewegung und angeblichen Organisators des Putschversuches vom Juli vergangenen Jahres.

Medienberichen zufolge hat es hinter den Kulissen bereits Versuche gegeben, über einen Austausch zu sprechen. „Bild“-Zeitung und „Wall Street Journal“ meldeten, Erdogan habe die Rückkehr des in Istanbul inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel in die Bundesrepublik angeboten, wenn im Gegenzug zwei türkische Generäle, die nach dem Putschversuch vom Juli 2016 in Deutschland Zuflucht gesucht hatten, in die Türkei überstellt würden. Die Bundesregierung habe abgelehnt. Die regierungsnahe türkische Zeitung „Takvim“ meldete, die Initiative für einen Austausch sei von deutscher Seite ausgegangen.

Auch mit der US-Regierung soll Erdogan – bisher erfolglos – über einen Austausch gesprochen haben. Dabei geht es um Gülen selbst, der seit 1999 in Pennsylvania lebt. US-Medien mutmaßen, dass die türkische Regierung einen seit Oktober im westtürkischen Izmir einsitzenden US-Geistlichen als Faustpfand benutzen will. Dem christlichen Pastor Andrew Brunson wird Mitgliedschaft in der islamischen Gülen-Bewegung, Spionage und Umsturzversuch vorgeworden. US-Präsident Donald Trump hatte sich persönlich bei Erdogan für Brunson eingesetzt, war aber gescheitert.

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