Konflikt Syrien-Türkei Krieg in der Luft, Krach im Hangar

ISTANBUL · Die Führung in Ankara will Damaskus weiter in die Enge treiben, aber den Bruch mit Moskau vermeiden. Russland und Syrien protestierten gegen das türkische Vorgehen, in Damaskus war von einem Akt der Luftpiraterie die Rede.

 Unfreiwillige Landung: Das syrische Flugzeug steht auf der Rollbahn in Ankara.

Unfreiwillige Landung: Das syrische Flugzeug steht auf der Rollbahn in Ankara.

Foto: dpa

Die Meldung vom Mittwochnachmittag schreckte Ankara auf. Geheimdienste informierten die Türkei darüber, dass ein ziviler syrischer Airbus auf dem Weg von Moskau nach Damaskus militärische Güter an Bord habe.

Nach kurzen Beratungen ließ die Regierung zwei Kampfjets vom Typ F-16 aufsteigen. Die Maschinen der Staffel mit dem Namen "Harpune" nahmen die syrische Passagiermaschine über dem Norden der Türkei in ihre Mitte und forderten den Piloten auf, in Ankara zu landen. Damit begann die jüngste Eskalationsrunde in den Spannungen zwischen der Türkei und Syrien.

In der türkischen Hauptstadt Ankara mussten die 35 Passagiere des Airbus - etwa die Hälfte waren russische Staatsbürger - aussteigen, die Ladung aus dem Frachtraum wurde in einen Hangar gebracht.

Dort gerieten bald türkische und russische Diplomaten aneinander. Türkische Ermittler wollten einige versiegelte Container öffnen, die sie aus dem Bauch des Airbus ausgeladen hatten, und die als diplomatisches Gepäck gekennzeichnet waren. Diese Art von Fracht darf eigentlich nicht angerührt werden, und die Russen forderten ihre türkischen Kollegen auf, die Finger davon zu lassen. Doch die Türken ließen sich nicht abbringen und brachen die Siegel.

Nach dieser Konfrontation fanden türkische Beamte laut Presseberichten die Bestätigung für die Geheimdienstinformationen vom Nachmittag.

In den Diplomaten-Behältern lagen demnach eigens verpackte Einzelpakete, die an das syrische Verteidigungsministerium in Damaskus adressiert waren. Die Pakete enthielten Steuer-Elektronik für Raketen, militärische Störsender und Kommunikationsgeräte - insgesamt 300 Kilogramm schwer, wie türkische Medien meldeten. Wenig später durfte der Airbus mit seinen Passagieren nach Damaskus starten, doch die verdächtige Fracht blieb im Hangar in Ankara.

Offiziell ging die türkische Regierung am Tag nach den dramatischen Ereignissen nicht auf die Einzelheiten der beschlagnahmten Fracht ein.

Außenminister Ahmet Davutoglu und Verkehrsminister Binali Yildirim sprachen lediglich von Gütern, "die mit den Regeln der zivilen Luftfahrt unvereinbar" seien. Der Lufttransport militärischer Güter müsse einem Land, dessen Luftraum benutzt werde, zehn Tage vorher angezeigt werden, sagte Yildirim. Das sei nicht geschehen. Sollte so etwas wieder vorkommen, werde die Türkei wieder so handeln.

Die Quelle für die Informationen über die mutmaßlichen Militärgüter in der syrischen Maschine wollten türkische Regierungsvertreter nicht nennen. Atilla Sandikli, Chef der Denkfabrik Bilgesam, sagte dem türkischen Nachrichtensender NTV, wahrscheinlich sei die Türkei von ihren westlichen Partnern alarmiert worden, möglicherweise von den USA oder von der NATO. Die rasche Reaktion der Türkei auf die Geheimdienstinformationen spreche dafür, dass die Quellen als sehr verlässlich eingestuft worden seien.

Russland und Syrien protestierten gegen das türkische Vorgehen, in Damaskus war von einem Akt der Luftpiraterie die Rede. Die türkische Regierung war sich über die Gefahr ihrer Taktik wohl im Klaren. Sie wies die Luftfahrtgesellschaften des Landes an, ab sofort den syrischen Luftraum zu meiden - Ankara befürchtet, dass die Maschinen abgeschossen werden könnten.

Die Spannungen zwischen der Türkei und Syrien steigen mit jedem Tag. Nur wenige Stunden vor dem Start der türkischen Kampfflugzeuge hatte der türkische Generalstabschef Necdet Özel den Syrern mit "noch heftigeren" Vergeltungsschlägen gedroht, falls der Beschuss türkischen Territoriums durch die syrische Artillerie anhalten sollte.

Auch auf der politischen Ebene bleibt Ankara bei der harten Linie. "Assad ist erledigt", sagte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan diese Woche in einer Rede in Ankara. "Er hält sich nur noch mit Krücken aufrecht. Wenn die Krücken fallen, dann fällt auch er."

Erdogans Regierung tut derzeit alles, um dafür zu sorgen, dass diese Krücken bald weggeschlagen werden: Ankara will Syrien weiter in die Enge treiben und den Druck auf Staatschef Baschar al Assad erhöhen.

Das Vorgehen gegen das Passagierflugzeug ist Teil dieser Strategie, mit der Syrien so gut es geht isoliert werden soll.

Die erzwungene Landung des Airbus war nicht das erste Mal, dass die Türkei gegen vermutete Waffenlieferungen an Damaskus eingeschritten ist. Im vergangenen Jahr zwangen die Türken ein iranisches Frachtflugzeug zur Landung, das Waffen für Syrien an Bord hatte.

In den vergangenen Monaten sperrte Ankara nach Angaben von Regierungsvertretern zudem den türkischen Luftraum für Militärflugzeuge, die Waffen nach Syrien bringen sollten. Ohne UN-Embargo gegen Syrien kann die Türkei nicht mehr tun, aber sie nutzt ihre nationalen Möglichkeiten voll aus.

Unklar blieb gestern zunächst, welche Auswirkungen der Zwischenfall von Ankara auf das türkisch-russische Verhältnis haben würde. Davutoglu gab sich zuversichtlich, dass es keine große Krise geben wird.

Der russische Präsident Wladimir Putin wird im November in Ankara erwartet; der Besuch war eigentlich für kommende Woche vorgesehen, er sollte Sonntag beginnen, wurde aber auf Wunsch der Russen verschoben.

Ein ernstes Zerwürfnis mit Russland wird die Türkei unter allen Umständen vermeiden wollen: Schließlich ist das Land auch von russischen Gasimporten abhängig.

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