Kommentar zum Abschied von Helmut Kohl Kohls Enkel

Meinung | Bonn · Er ist sich bis zum allerletzten Tag seines politischen Wirkens treu geblieben. Helmut Kohls Abschied war so, wie er auch zu Lebzeiten aufzutreten pflegte: Er mochte die große Inszenierung.

 Der Sarg mit Altkanzler Helmut Kohl wird mit großem militärischen Ehrengeleit über den Domplatz von Speyer (Rheinland-Pfalz) getragen. Kohl war am 16.06.2017 im Alter von 87 Jahren gestorben. Der Kanzler der Deutschen Einheit war 16 Jahre im Amt. Foto: Uwe Anspach/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

Der Sarg mit Altkanzler Helmut Kohl wird mit großem militärischen Ehrengeleit über den Domplatz von Speyer (Rheinland-Pfalz) getragen. Kohl war am 16.06.2017 im Alter von 87 Jahren gestorben. Der Kanzler der Deutschen Einheit war 16 Jahre im Amt. Foto: Uwe Anspach/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

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Wenn er es wollte, setzte sich Helmut Kohl über alles hinweg, was andere von ihm erwarteten – seine Kinder, die Bundesregierung. Misstöne nahm er dabei immer in Kauf. Natürlich umwehte Pathos den großen Abschied. Eine unmissverständliche politische Botschaft begleitete den Tag in Straßburg, Ludwigshafen und Speyer. Insgesamt gab es wie immer bei Kohl von allem beinahe zu viel. Seine barocke Gestalt, seine Art zu sein und zu regieren – hier schien das alles noch einmal auf, vermutlich ein letztes Mal.

Wer die beinahe strenge und hanseatisch zurückgenommene Feier zum Abschied von Helmut Schmidt noch vor Augen hat, bemerkt den Unterschied. Der ruht auf einem städtischen Friedhof fernab irgendwelcher mittelalterlicher Kaisergräber. Ob einem das eine oder das andere besser gefällt, ist am Ende eine Frage des Geschmacks. Kohl wählte den großen Auftritt auch für seinen Abschied und das tat er wie immer mit Bedacht.

Selbst diesen Schritt stellte der Altkanzler in den Dienst Europas, um dessen Wohl und Zukunft er sich offenbar sorgte. Europa ist in der Krise und Kohl, der immer um die Macht starker Bilder wusste, setzte die Inszenierung seines Staatsaktes dagegen. Den hätte man auch als persönlichen Abschied gestalten können. Aber Kohl tat das nicht. Auch als Toter wollte er noch nützlich sein und über den Tag hinaus wirken.

Das ist ihm gelungen, denn Jean-Claude Juncker und auch Emmanuel Macron nahmen diesen Gedanken auf und deuteten das Vermächtnis Kohls mit dem Blick nach vorne. Einen Tag lang zeigte sich, dass Europa mehr sein kann als ein zerstrittenes Bündnis von bald nur noch 27 Ländern. Wenn Europa denn will und wenn sich Politiker finden, die für diese Sache ihren Willen durchsetzen – auch gegen Widerstände. Kohl hat die Kleinmütigen und Verstockten ein letztes Mal gezwungen, ihm zuzuhören. Es waren schließlich alle dort, die Kohl etwas zu verdanken haben: Die Länder Osteuropas, die so stark von der Union profitieren, die aber so wenig bereit sind, sich einzubringen. Oder die Länder Südeuropas, die den Euro als Garant für Wohlstand sahen, aber ignorierten, welche Folgen Verschuldung haben könnte.

Ob sie die Botschaft verstanden haben? Viel wichtiger für Kohls Idee sind jene Politiker, die Europa weiterentwickeln wollen. Nach den Krisen gibt es Ansätze für neue Ideen und neue Initiativen. Jede Generation muss Europa so gestalten, dass es seine wichtige Aufgabe erfüllt, den Bürgern Frieden, Freiheit und Wohlstand zu sichern.

Inzwischen übernehmen Kohls Enkel die Macht. Von ihnen gibt es noch viel zu wenige. Sie brauchen den Mut, den starken zerstörerischen Kräften etwas entgegenzusetzen. Wenn es Kohl am Samstag gelungen ist, sie zu stärken, dann hat der große Europäer noch einmal etwas erreicht.

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