Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik Koch: Deutsche sind ein selbstgewisses Volk geworden

BONN · Wenn es um Bürgerbeteiligung bei Großprojekten geht, ist Reiner Priggen ein gebranntes Kind. Er habe im vorigen Jahr zwei Verfahren verloren, sagte der Grünen-Fraktionschef im NRW-Landtag und Aachener Bürger am Montagabend bei einer Diskussion vor rund 170 Besuchern in der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP).

 Diskutierten bei der Bonner Akademie: (von links) Andreas Tyrock, Roland Koch und Gabor Steingart.

Diskutierten bei der Bonner Akademie: (von links) Andreas Tyrock, Roland Koch und Gabor Steingart.

Foto: Horst Müller

Eines dieser Projekte, die Wiedereinführung der Straßenbahn in Aachen, sei zwar von CDU, SPD, Grünen, Handwerkskammer, Hochschule und vielen Gruppen unterstützt worden, doch die Bürger hätten das Projekt abgelehnt. Und das vor allem deshalb, weil sie angesichts von finanziell aus dem Ruder gelaufenen Projekten wie dem Berliner Flughafen oder der Hamburger Elbphilharmonie nicht bereit gewesen seien, ins finanzielle Risiko zu gehen.

Die Diskussion, die von GA-Chefredakteur Andreas Tyrock moderiert wurde, bildete den Abschluss des BAPP-Forschungsvorhabens zu Großprojekten in Politik und Wirtschaft. Der Rostocker Professor Hans Jörg Hennecke, einer der beiden Leiter des Forschungsvorhabens, hob hervor, Deutschland brauche Großprojekte, weil es eine leistungsfähige Infrastruktur brauche. Es sei aber auch nötig, Wege zu finden, "um schwierige Entscheidungen durchzubringen".

Dass Politiker heutzutage die Bürger dabei lieber nicht mit Lasten konfrontierten, bemängelte der frühere hessische Ministerpräsident und heutige Vorstandschef des Baukonzerns Bilfinger, Roland Koch. "Es zahlt sich politisch ja sogar aus, wenn Konflikte ausgeblendet werden", sagte Koch. Dabei sei es doch oft so, dass im Verlauf eines Prozesses "nicht Moderationen, sondern Entscheidungen gefragt" seien, auch unbequeme. Die Deutschen seien "ein selbstgewisses Volk" geworden, das nach dem Motto lebe, "warum sollen wir Risiken eingehen, es geht doch auch so".

Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart betonte, dass der Bürger mehr als früher der Souverän sei. "Wir erleben gerade die Abschaffung der repräsentativen Demokratie", weil die Bürger immer mehr selbst entscheiden wollten und Wege dazu nutzten.

Ein Weg: der Protest. Zum Beispiel jener Bürger, die Widerstand gegen den Bau eines Pumpspeicherwerks am Rursee in der Eifel leisteten. Das Projekt scheiterte, "weil es sehr schnell unterschiedliche Interessenlagen gab", wie Co-Forschungsleiter Volker Kronenberg sagte. Priggen nannte das Scheitern des Energiewende-Projekts seine zweite Niederlage im vorigen Jahr. Sein Resümee aus beiden: "Wir müssen als Politik besser werden und sehr viel mehr an Kommunikation betreiben."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Noch nicht aufgewacht
Kommentar zum Treffen zwischen Scholz und Sunak Noch nicht aufgewacht
Zum Thema
Aus dem Ressort