Karlsruhe billigt "Deal" im Strafprozess - in Grenzen

Karlsruhe · Das Bundesverfassungsgericht gibt dem kurzen Prozess seinen Segen - aber mit erhobenem Zeigefinger: Bei Absprachen der Prozessbeteiligten dürften Gerichte nicht die gesetzlichen Vorgaben aus den Augen verlieren. Bislang passiert das zu oft.

 Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verkündet sein Urteil über die Zulässigkeit von Absprachen in Strafprozessen. Foto: Uli Deck

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verkündet sein Urteil über die Zulässigkeit von Absprachen in Strafprozessen. Foto: Uli Deck

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Deutsche Gerichte dürfen sich weiter mit Staatsanwaltschaft und Angeklagten auf ein Strafmaß verständigen. "Deals" im Strafprozess bleiben grundsätzlich zulässig, wie das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschied. Gleichzeitig forderten die Richter korrekte Verfahren ein. Bislang bestehe ein "erhebliches Vollzugsdefizit."

Mit ihrer Entscheidung hoben sie zugleich die Strafurteile gegen drei Beschuldigte auf (2 BvR 2628/10 u.a.), die vor das Gericht gezogen waren. Die Bundesregierung kündigte an, die 2009 gefundenen Regelungen zu präzisieren, um alle Beteiligten zu einem rechtskonformen Verhalten zu zwingen.

Die Verfassungsrichter kritisierten, dass sich die gerichtliche Praxis "in erheblichem Umfang" über die Regelungen hinwegsetze. Sollte sich das nicht ändern, drohe ein "verfassungswidriger Zustand". Dies sei nicht nur als Hinweis an den Gesetzgeber zu verstehen, der gegebenenfalls nachjustieren müsse, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. "Es ist zugleich eine sehr ernst gemeinte Mahnung an alle Akteure in einem Strafverfahren."

Absprachen im Strafprozess sollen vor allem die Arbeitsbelastung der Justiz mindern. Im Normalfall stellt das Gericht dem Angeklagten eine mildere Strafe in Aussicht für den Fall, dass er ein Geständnis ablegt. Dieses Verfahren hat sich vor allem bei Sexualstrafsachen zum Schutz der Opfer bewährt, sowie bei Wirtschaftsdelikten, um jahrelange Prozesse zu umgehen.

Derartige Verständigungen sind aus Sicht des Verfassungsgerichts grundsätzlich erlaubt. Sie müssten aber transparent sein und dokumentiert werden. Informelle Absprachen - an etlichen Gerichten gängige Praxis - seien unzulässig. Urteile, die auf diesem Wege zustande gekommen sind, könnten angefochten werden. "Das ist die Einladung an den Gesetzgeber, nicht nur die Praxis sorgfältig zu beobachten, sondern sich auch Gedanken zu machen, wie das Korsett für eng eingegrenzte Absprachen noch besser geschnürt werden kann."

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erklärte nach dem Urteil: "Es ist ganz entscheidend, dass es einen fairen Prozess gibt, dass es hier um die Rechte für alle Beteiligten in einem Prozess geht." Das Bundesverfassungsgericht habe der Praxis die Gelbe Karte gezeigt. "Das ist die Einladung an den Gesetzgeber, nicht nur die Praxis sorgfältig zu beobachten, sondern sich auch Gedanken zu machen, wie das Korsett für eng eingegrenzte Absprachen noch besser geschnürt werden kann."

Generalbundesanwalt Harald Range begrüßte die Entscheidung, in der die Verfassungsrichter die besondere Kontrollfunktion der Staatsanwaltschaft bei "Deals" hervorgehoben hatten. "Das stellt unsere erhöhte Verantwortung heraus, für Gerechtigkeit zu sorgen." Details werde er in den kommenden Wochen mit seinen Kollegen beraten. Auch der Deutsche Anwaltverein begrüßte die Klarstellung. Der Anspruch des Angeklagten auf einen Freispruch bei Zweifeln an seiner Schuld dürfe nicht zum Gegenstand von Absprachen werden.

Für die drei Männer, die vor das Verfassungsgericht gezogen waren, hat die Entscheidung ganz konkrete Auswirkungen: Weil ihre Verfahren aus Sicht des Verfassungsgerichts nicht fair waren, müssen sie neu aufgerollt werden. "Jetzt kann ich endlich für meine Belange eintreten", sagte der Polizist Jens Rohde. "Der erste Schritt ist getan." Er war wegen schweren Raubes verurteilt worden, weil er angeblich einem Schwarzmarkt-Händler Zigaretten abgenommen und für sich behalten hatte.

Das Gericht hatte ihn vor die Wahl gestellt: Ohne Geständnis müsse er mit vier Jahren Haft rechnen - wenn er gestehe, komme er mit zwei Jahren auf Bewährung davon. Daraufhin hatte Rohde pauschal erklärt, die Vorwürfe entsprächen der Wahrheit - und bekam die Bewährungsstrafe. Zeugen wurden nicht mehr gehört. Später widerrief der Polizist sein Geständnis: Er habe es nur abgegeben, weil das Gericht ihn unter Druck gesetzt habe.

Jetzt will er seine neue Chance nutzen, um seine Unschuld zu beweisen. "Diesmal wird das Verfahren sicher vorsichtiger ablaufen", sagte er. Die Entscheidung mache ihn glücklich. "Außerdem muss ich meiner Tochter jetzt einen Hund kaufen."

Bezogen auf Rohdes Fall erklärten die Verfassungsrichter, kein Beschuldigter dürfe gedrängt werden, sich selbst zu belasten. Auch der Grundsatz, dass eine Schuld Voraussetzung für eine Strafe sei, müsse gewahrt bleiben. Die Gerichte seien bei einer Verständigung wie in jedem anderen Verfahren verpflichtet, "den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären". Sie müssten zwingend prüfen, ob ein Geständnis den Tatsachen entspreche.

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