Juncker wird neuer EU-Kommissionschef

Brüssel · London wollte den Luxemburger Juncker nicht als EU-Kommissionspräsidenten. Jetzt deuten die EU-Partner Entgegenkommen an. Das Ziel lautet: Großbritannien soll in der EU bleiben.

 Der britische Premier David Cameron und Jean-Claude Juncker. Foto: Thierry Roge

Der britische Premier David Cameron und Jean-Claude Juncker. Foto: Thierry Roge

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Nach der umstrittenen Nominierung Jean-Claude Junckers zum nächsten EU-Kommissionspräsidenten versuchen Europas Staats- und Regierungschefs, tiefe Risse in der EU zu kitten. Beim EU-Gipfel kamen die Staatenlenker dem britischen Premier David Cameron entgegen, der in der Kampfabstimmung gegen Juncker votiert hatte. In der Abschlusserklärung erkennen die Staatenlenker das Recht von Ländern an, bei der weiteren Integration der EU nicht mitzugehen. "Das Vereinigte Königreich hat einige Befürchtungen über die künftige Entwicklung der EU vorgebracht. Diese Sorgen müssen aufgegriffen werden", heißt es.

Auch Ungarn stimmte gegen Juncker (59), der vom November an die EU-Behörde leiten soll. 26 Staatenlenker votierten für Juncker, auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Abstimmung war ein absolutes Novum. Bisher wurde der Chef der mächtigen Behörde einvernehmlich von den "Chefs" bestimmt.

Der frühere Luxemburger Premier muss am 16. Juli noch vom Europaparlament bestätigt werden. Dafür sind mindestens 376 der insgesamt 751 Stimmen nötig. Da die Sozialdemokraten bereits signalisierten, dass sie Juncker wählen wollen, hat er gute Chancen, auch diese Hürde zu überwinden. Junckers Europäische Volkspartei (EVP) ist die stärkste Fraktion in der Volksvertretung. Cameron hatte mehrfach erklärt, er halte den früheren Euro-Retter als ungeeignet für das Brüsseler Spitzenamt.

Ein weiteres Trostpflaster für Cameron ist, dass die künftigen Topposten nicht gegen den Widerstand eines Landes besetzt werden sollen. Das verlautete zuverlässig am Rande des Spitzentreffens. Bis zum Herbst muss sich die EU über ein umfassendes Personalpaket einigen. Dazu gehört die Nachfolge der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton und von Ratschef Herman Van Rompuy - beide sollen vom Gipfel einstimmig benannt werden. Diese Personalien könnten bei einer Sondersitzung am 16. Juli unter Dach und Fach gebracht werden.

Angesichts wochenlangen Streits um Juncker wollen die Staats- und Regierungschefs noch einmal darüber nachdenken, wie der Kommissionspräsident künftig bestimmt wird. Der Gipfel werde "das Verfahren zur Ernennung des Präsidenten der Europäischen Kommission für die Zukunft überdenken - unter Respektierung der Europäischen Verträge", heißt es in der Erklärung. Merkel sagte, man werde "die Sorgen, die Großbritannien hat, aufnehmen". Bei der Integration Europas müssten nicht "alle mit einer Geschwindigkeit vorgehen".

In der Ukraine-Krise verschärfte der Gipfel den Ton und stellte Russland ein Ultimatum von 72 Stunden. Bis Montag (30. Juni) müsse Russland "substanzielle Verhandlungen" über den Friedensplan des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko aufnehmen.

Beim Sondergipfel im Mitte Juli wollen die Staats- und Regierungschefs auch über weitere Sanktionen gegen Moskau beraten. Seit längerem werden Wirtschaftssanktionen gegen Moskau erwogen. Bislang hat die EU gegen 61 Personen Einreiseverbote und Kontensperrungen verhängt. "Es können Sanktionen dieser und jener Stufe sein", sagte Merkel.

Die EU-"Chefs" unterzeichneten beim Gipfel mit der Ukraine ein jahrelang umstrittenes Partnerschaftsabkommen. Das sieht eine enge wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit vor. Der politische Teil war schon im März unterschrieben worden. Auch Georgien und die Republik Moldau unterzeichneten Assoziierungsabkommen. Alle drei Staaten hoffen auf einen späteren EU-Beitritt, der aber in den Abkommen nicht versprochen wird.

Auf die Frage, ob er von der Zustimmung Merkels zu Juncker enttäuscht sei, sagte Cameron: "Natürlich stehen wir heute auf entgegengesetzten Seiten und das ist Grund für Bedauern. (...) Das passiert manchmal." Es sei aber wichtig, für seine Überzeugung einzustehen: "Manchmal muss man bereit sein, eine Schlacht zu verlieren, um einen Krieg zu gewinnen."

Bei den diesjährigen Europawahlen Ende Mai hatten die Parteien erstmals Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten aufgestellt. Damit hatte das Parlament deutlich mehr Einfluss auf die Personalie genommen als je zuvor. Der Kommissionspräsident muss laut Vertrag von den Staatenlenkern - im Lichte des Wahlergebnisses - benannt und vom Parlament gewählt werden. Der britische Premier sieht darin eine Aushöhlung der Rechte der Regierungen. Das Mandat für die Kommissionsspitze läuft fünf Jahre. Die EU-Kommission ist eine Art Geschäftsführung der EU - nur sie kann Gesetze vorschlagen.

Im Tauziehen um eine Neuausrichtung der europäischen Wirtschaftspolitik stellten sich die EU-Staatenlenker hinter die Stabilitätsregeln für die staatlichen Haushalte. "Wir respektieren den Stabilitäts- und Wachstumspakt", heißt es in der Gipfelerklärung. Dieser Satz wurde neu eingefügt. Zugleich sollen Defizitsünder mehr Spielraum erhalten und EU-Gelder besser nutzen. Das kommt laut Diplomaten vor allem Italien entgegen, das auf Wachstums- und Investitionsförderung pocht. Barroso betonte: "Kein Premierminister hat vorgeschlagen, die Regeln zu ändern."

Die Staatenlenker gaben für die Beitritt Litauens zur Eurozone grünes Licht. Das baltische Land will zum kommenden Jahreswechsel 19. Mitglied der Währungsunion werden.

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