Vorwürfe aus Europa Iran-Konflikt droht erneute Konfrontation

Istanbul · Der Iran-Konflikt eskaliert erneut: Es gibt Streit um das Atomprogramm und um Raketenangriffe auf US-Einrichtungen im Irak. Auch Europäer machen Teheran nun Vorwürfe.

 Eine Frau mit der amerikanischen Freiheitsstatue als Kopfschmuck protestiert in London gegen einen Irakkrieg.

Eine Frau mit der amerikanischen Freiheitsstatue als Kopfschmuck protestiert in London gegen einen Irakkrieg.

Foto: dpa/Alberto Pezzali

Im Iran-Konflikt bahnt sich eine neue Eskalation an. Die USA melden eine Serie von mutmaßlich iranischen Raketenangriffen auf amerikanische Einrichtungen im Irak. Zuletzt schlugen demnach am Donnerstagabend zwei Raketen auf einer Luftwaffenbasis nördlich von Bagdad ein. Washington erwägt deshalb die Verlegung von bis zu 7000 zusätzlichen Soldaten in den Nahen Osten.

Auch die politischen Spannungen steigen. So steht der internationale Atomvertrag mit Teheran vor dem Scheitern, weil jetzt nicht nur die Vereinigten Staaten, sondern auch die europäischen Unterzeichner des Abkommens schwere Vorwürfe gegen den Iran erheben. Deutschland, Frankreich und auch Großbritannien werfen dem Iran vor, atomwaffenfähige Raketen zu entwickeln.

Die Krise war am Freitag Thema eines Treffens von Europäern, Russen und Chinesen mit iranischen Vertretern in Wien. Dabei forderten die Vertreter Europas laut Medienberichten, der Iran müsse sich an das Atomabkommen halten. Den „Mechanismus zur Konfliktlösung“ wollen sie vorerst nicht auslösen – doch der Streit wurde nur vertagt, nicht beigelegt. Iran-Experte Vaez zufolge könnte das Atomabkommen schon in den kommenden Wochen platzen.

Die zwei Katjuscha-Raketen, die am Donnerstagabend den irakischen Stützpunkt Al-Balad trafen, richteten nach US-Angaben keinen Schaden an. Dennoch verstärkt der Angriff die Sorge amerikanischer Regierungspolitiker und Militärs. Sie beobachten seit etwa sechs Wochen eine Reihe von ähnlichen Anschlägen auf die amerikanische Botschaft in Bagdad oder auf irakische Militärbasen, auf denen insgesamt mehr als 5000 US-Soldaten stationiert sind.

Ein Angriff auf den Stützpunkt Al-Asad wurde nur wenige Tage nach einem Besuch von US-Vizepräsident Mike Pence dort verübt. Laut Medienberichten machten Sicherheitskreise die irakische Schiiten-Miliz Kataib Hisbollah dafür verantwortlich, die dem Iran nahesteht. Auch US-Außenminister Mike Pompeo hatte erklärt, der Iran stecke hinter den Raketenangriffen.

Mit der anvisierten Truppenverstärkung will die US-Regierung ihre Soldaten besser schützen und gegenüber dem Iran ein Zeichen der Abschreckung setzen. Präsident Donald Trump kündigte eine „heftige“ Antwort auf iranische Angriffe an.

Seit Trumps Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran im vergangenen Jahr nehmen die Spannungen im Nahen Osten zu. Schon jetzt verfügen die USA in der Golf-Region über eine Streitmacht von mehr als 40 000 Soldaten sowie starke Marine- und Luftwaffenverbände. Mutmaßliche iranische Angriffe auf Öltanker und auf Öleinrichtungen des amerikanischen Partners Saudi-Arabien hatten in den vergangenen Monaten die Kriegsgefahr in der Region erhöht.

Ex-General Joseph Votel, ehemaliger Kommandeur des US Central Command, das für den Iran zuständig ist, warnt die amerikanische Regierung davor, wegen „Fehlkalkulationen“ in einen Krieg zu stolpern. Zwar müssten die USA dem Iran militärisch Paroli bieten, schrieb Votel in einer Analyse für das Nahost-Zentrum in Washington. Doch es müsse Klarheit über die eigenen Ziele und die des Iran bestehen. Votel plädierte für die Einrichtung von Kommunikationskanälen zwischen den USA und dem Iran um ungewollte Konfrontationen zu vermeiden.

Ein neuer Streit um das iranische Atomprogramm macht die Lage nun noch gefährlicher. Bisher waren alle Vertragspartner des Atomabkommens außer den USA entschlossen, die Vereinbarung zu erhalten. Insbesondere die europäischen Vertragsstaaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien – genannt die „E3“ – widersetzten sich Trumps Forderungen, den Iran durch Wirtschaftssanktionen in die Enge zu treiben.

Iranische Verstöße gegen den Atomvertrag wurden von Europa heruntergespielt. Auch Teheran betonte, die Vertragsverletzungen unter anderem bei der Uran-Anreicherung seien lediglich Warnsignale und könnten leicht wieder rückgängig gemacht werden.

Doch jetzt befürchten die E3, dass die fortgesetzten iranischen Verstöße bald an einen Punkt kommen könnten, an dem das Atomabkommen von 2015 unwiderruflich scheitern würde. Auch aus Sicht von Ali Vaez, Direktor des Iran-Programms bei der Denkfabrik International Crisis Group, wird es allmählich eng. Viele Nadelstiche gegen den Vertrag, die leicht wieder zurückgenommen werden könnten, gebe es nicht mehr, sagte Vaez unserer Zeitung in Istanbul.

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