Irak-Konflikt "In diesem Krieg wird nicht verhandelt"

ERBIL · Man braucht kein Fernglas, um den Ort auszumachen, an dem sich die vermeintlich heiligen Krieger verschanzt haben. In einem Grünstreifen gerade einmal drei Kilometer entfernt, befinden sich die Kämpfer des IS, der Organisation des "Islamischen Staates". Wenig dahinter liegt der Ort Jalaula, den die irakische Armee ihnen vor zwei Monaten kampflos überlassen hat.

Die Stellung der kurdischen Peschmerga liegt auf einer Anhöhe. Die Luft flimmert. Der Wind schlägt einem wie ein Heißluftföhn entgegen, nur staubiger. Es sind locker 50 Grad in der Sonne. Ein Dutzend kurdischer Kämpfer hat sich vor einem Container im Schatten zusammengezwängt. Drei von ihnen halten Wache, den Grünstreifen in der Ebene im Blick.

Es hat fast etwas von Karl Mays "Durchs wilde Kurdistan", wie sie da stehen, manche mit ihren traditionellen weiten Hosen, mit einem breiten Gürtel oben zusammen gebunden und ihren Tüchern, Turban-artig um den Kopf geschwungen. Andere tragen Uniformen, wieder andere eine Mischung aus beidem, aber alle leicht verwegen aussehend, mit den Kalaschnikows über die Schulter geschwungen.

Aber das hier ist keine Phantasie-Folklore-Veranstaltung, sondern ein echter Krieg. Und der Gegner in der Ebene ist nicht zu unterschätzen. "Das sind keine wilden Krieger dort unten, sondern eine hochdisziplinierte schlagkräftige Truppe, vor der ich großen Respekt habe. Die sind richtig gut", beginnt der kurdische Peschmerga-Oberst Adel Nuri mit der Beschreibung seines Feindes.

Die Kommandeure des IS im Ort Jalaula seien teils Ausländer, teils ehemalige irakische Offiziere der Armee Saddams. Der Chef da unten sei ein Tschetschene. Es gibt auch Afghanen, Pakistaner und Kämpfer aus Ländern wie Saudi-Arabien und Syrien. "Die besitzen eine unglaubliche Kampferfahrung", meint Oberst Nuri. Und die Offiziere der ehemaligen Armee Saddams wüssten, wie man eine moderne Armee taktisch einsetzt.

Besonderen Respekt hat Oberst Nuri vor ihren Scharfschützen. "Einmal haben wir den Stil eines Besens hochgehalten und sie haben ihn getroffen. Sie schießen nie daneben", erzählt er. Das ist auch der Grund, warum der Oberst kein Rangabzeichen auf der Schulter hat, damit die Scharfschützen des IS sich nicht die Offiziere der Peschmerga herauspicken.

Dazu komme, dass der Gegner extrem gut ausgerüstet sei. "Sie haben modernste Waffen, die sie aus den Beständen der irakischen Armee erbeutet haben", erläutert Oberst Nuri. Allein in Mossul hätte der IS ein zurückgelassenes modernes Waffenarsenal für 70 000 Soldaten mitgenommen.

"Davon können wir Peschmerga nur träumen", sagt er. Der Gegner besäße alles, was das Herz eines modernen Kämpfers begehre, "von Panzern und Raketenwerfern bis zu gepanzerten Geländefahrzeugen". Verglichen damit wirken die alten Kalaschnikows und das andere schwerere Kriegsgerät der Kurden, das meist aus den Beständen der alten irakischen Armee von vor 20 Jahren stammt, eher museumsreif. Eines der beiden leichten Maschinengewehre in ihrer Stellung funktioniert gar nicht mehr.

"Wir haben gehört, dass in Erbil moderne Waffen aus den USA und Frankreich angekommen sind. In den nächsten Tagen sollen wir hier auch eine Lieferung davon bekommen. Wir können es gar nicht erwarten. Wir werden uns dann ganz neu aufstellen", sagt er. Tote hat es auch schon einige gegeben.

Drüben bei den IS-Kämpfern, so erzählt er, befänden sich drei Leichen seiner Peschmerga. Die würde er gern gegen drei Gefallene des IS austauschen, die noch im Kühlraum eines Krankenhauses nicht weit entfernt lägen. Aber das hier ist ein Krieg, in dem nicht verhandelt wird.

Das Gebiet, in der die Stellung von Oberst Nuri liegt, ist von großer strategischer Bedeutung. Hier befindet sich der einzige Korridor, der die nordirakischen, kurdischen Gebiete mit Bagdad und der dortigen regulären Armee verbindet. Und der ist gerade einmal 15 Kilometer breit. Ansonsten sind der Süden und der Norden des Landes von einem Gebiet getrennt, das der IS kontrolliert.

Mit der militärischen Koordination zwischen Kurden und Bagdad ist es ohnehin nicht weit her. Seit einer Woche gäbe es einen gemeinsamen Krisenstab mit Bagdad, den Kurden und den Amerikanern, sagt Oberst Nuri. Aber hier im Feld gebe es bisher noch keine richtige Koordination.

Immer wieder schimmert durch, wie wenig die Kurden von der regulären irakischen Armee halten. Die hätten nicht nur Mossul, sondern auch die Stadt Jalaula dem IS überlassen, ohne einen Schuss abgefeuert zu haben, meint er nur. Vor ein paar Tagen hätte in der Gegend auch ein Flugzeug der irakischen Luftwaffe gekreist, um Stellungen des IS zu bombardieren. Gefragt nach der Effektivität des Luftangriffs, schenkt Oberst Nuri nur ein mildes Lächeln.

In der von Oberst Nuris Position sechs Autostunden entfernten kurdischen Provinzhauptstadt Erbil erläutert Helgurt Ali, der Sprecher der kurdischen Peschmerga, in einem Gespräch mit dem General-Anzeiger die militärische Gesamtlage. Er zählt alle Fronten auf, an denen zur Zeit gekämpft wird. Es sind derer viele.

"In Sindschar sind unsere Kräfte eingebunden, um weiter bei der Befreiung der jesidischen Flüchtlinge zu helfen, in Jalaula versuchen wir den Korridor offen zu halten". Dann folgen noch viele Ortsnamen. Es brennt an allen Ecken an den Grenzen der kurdischen Gebiete im Nordirak. Auch er zollt der Kampfkraft des Gegners hohen Respekt und gibt freimütig zu, dass die Peschmerga nur mit Mühe ihre Stellung hielten. Und über eines ist er sich sicher. "Das hier ist kein kurzer Krieg, das wird länger dauern."

Die Luftschläge der Amerikaner haben vielleicht den Vormarsch der IS-Kämpfer ein wenig aufgehalten, aber nicht das militärische Blatt gewendet. Die US-Luftangriffe seien nur von begrenzter Wirkung. Das liege auch daran, dass der IS seine Taktik geändert habe, erklärt er. "Hat der IS am Anfang auf breiter Front angegriffen, hat er seine Taktik mit Beginn der Luftschläge geändert. Er stößt an einer Stelle überraschend vor und zieht sich an einer anderen über Nacht zurück. Es ist eine Partisanen-Taktik, die es für uns schwerer und unberechenbarer macht", erläutert er.

Sorgen macht ihm auch, dass sich die sunnitische Bevölkerung im Norden des Landes, die nicht geflüchtet ist, mit den IS-Kämpfern solidarisch erklärt, wenn die US-Luftschläge auch die Zivilbevölkerung treffen. Anstatt einen Keil zwischen die selbst ernannten heiligen Krieger des Islamistischen Staates und die einheimische sunnitische Bevölkerung zu treiben, hätte man dann das Gegenteil erreicht: Man hätte beide Seiten regelrecht "zusammengebombt".

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