Enthüllungen in den USA Helden oder Verräter?

WASHINGTON · Bradley Manning kriegt ihn in den nächsten Tagen vermutlich mit voller Wucht, sprich: lebenslänglich, zu spüren, Edward Snowden erst dann, wenn er auf seiner Asyl-Odysee amerikanischen Fahndern in die Finger geraten sollte: den langen Arm von US-Präsident Barack Obama. Das bevorstehende Urteil im Militärprozess gegen den 25-jährigen Manning, der als Obergefreiter der Armee der Enthüllungsplattform Wikileaks Zigtausende geheime Depeschen und Videos überspielt hatte, die Morde an Zivilisten, Folter und weitere Kriegsverbrechen durch Amerikaner im Irak belegen, wird die wichtigste Standortbestimmung für die Frage sein, was von einem historischen Versprechen auf mehr Transparenz übrig geblieben ist.

Vor Amtsantritt 2009 hatte der Rechtsgelehrte aus Chicago nach den dunklen Jahren der Bush-Ära radikal neue Offenheit versprochen. Wer Missstände aufdeckt, die mit den Prinzipien der größten Demokratie der Welt nicht vereinbar sind oder gegen die Verfassung verstoßen, sagte Obama sinngemäß, erweise dem Land einen "patriotischen Dienst". So gesehen, finden nicht wenige Kommentatoren in den USA, verdiene der frühere Geheimdienst-Mitarbeiter Snowden einen renommierten Preis. Ohne ihn wäre das gigantische Ausmaß der staatlichen Kontrollwut bei der Überwachung von Telekommunikation und Internet vielleicht nie bekannt geworden.

Bürgerrechts-Organisationen und Medienwächtern wird angesichts der Realität in Washington, wo so genannte "whistleblower" (von "to blow the whistle" - "in die Pfeife blasen") wie Manning und Snowden ebenso gnadenlos verfolgt werden wie Journalisten, die deren Informationen veröffentlichen, ganz schwindelig. Nach ihrer Bestandsaufnahme hat noch keine Regierung die gezielte Weitergabe interner Daten so hartnäckig verfolgt wie die aktuelle. Derzeit sind ein halbes Dutzend Klagen nach dem fast 100 Jahre alten "Espionage Act" anhängig, 100 Prozent mehr als bei allen US-Präsidenten zuvor. Gleichzeitig macht der Regierungsapparat bei Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz ("Freedom of Information Act") deutlich häufiger dicht als die Vorgänger-Administrationen.

Während laut Umfragen viele Amerikaner zu schätzen wissen, dass Leute wie Manning und Snowden unter hohem persönlichen Einsatz Missstände oder gar Kriegs-Gräuel ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt haben, die sonst unentdeckt geblieben wären, erkennt das von dem Obama-Vertrauten Erich Holder geführte Justizministerium in derlei Verhalten pauschal eine Gefährdung der nationalen Sicherheit - oder gar die Unterstützung des Feindes. Verbunden damit sind im Falle einer Verurteilung im schlimmsten Fall lebenslange Freiheitsstrafen.

Dass geringere Strafen kein glimpfliches Ende bedeuten, zeigt der Fall Kiriakou. John Kiriakou, einst beim Geheimdienst CIA beschäftigt, hatte Journalisten die bereits bekannte Tatsache bestätigt, dass die Verhör- und Foltermethode "waterboarding"" kein Einzelfall war. Ergebnis: zweieinhalb Jahre Haft. Karriere und Ruf ruiniert.

Das Argument der "whistleblowern", wonach es ihn darum gehe, Grenzüberschreitungen des Staates auf Kosten der Freiheit des Bürgers kenntlich zu machen, findet in der Obama-Regierung wie auch vor der Justiz keine Akzeptanz. Der Fall Manning zeigt eine Verschärfung. Seit drei Jahren sitzt der Soldat in Isolationshaft, theoretisch droht ihm die Todesstrafe. Offen über seine Motive hat er bis heute nie sprechen können. Das war bei Daniel Ellsberg, dem Doyen der whistleblower, anders. Als er 1971 geheime Pentagon-Papiere über den Vietnamkrieg veröffentlichte, war der heute immer noch gefragte Aktivist in jeder Fernsehsendung, um seinen "Akt des Ungehorsam" zu erklären. So erfuhr ein staunendes Publikum allabendlich frei Haus, dass etliche US-Regierungen den Kongress und damit die Öffentlichkeit über den Krieg belogen hatten. Undenkbar im Amerika 2013, wo noch immer die Spätwirkungen der Anschläge vom 11.September 2001 und der dadurch ausgelösten Sicherheits-Phobie den Alltag prägen.

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