"Lied der Deutschen" Heftige Diskussion über die deutsche Nationalhymne

Berlin · Bodo Ramelow hat mit seinem Vorschlag zu einem neuen Lied eine heftige Debatte ausgelöst. Im Gegensatz zu früher gibt es aber auch nachdenkliche Töne.

 An der Strandpromenade von Helgoland steht diese Büste von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der das „ Deutschlandlied verfasste.

An der Strandpromenade von Helgoland steht diese Büste von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der das „ Deutschlandlied verfasste.

Foto: dpa

Bodo Ramelow hatte es geahnt. Auch wenn es 30 Jahre her ist, dass die Mauer fiel und die Ostdeutschen im Zuge der Wiedervereinigung sehr viel mehr aufgegeben haben als die Westdeutschen, sorgt sein Vorschlag mächtig für Aufregung. Er, der aus Niedersachsen stammende Ministerpräsident in Thüringen, wünscht sich eine neue Nationalhymne. Eine für alle, wie er betont. Denn viele Ostdeutschen singen nach seiner Beobachtung die dritte Strophe des Deutschlandliedes von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben aus dem Jahr 1841 nicht mit.

Und er selbst singt zwar „Einigkeit und Recht und Freiheit“, hat aber Beklemmungen, weil ihm die Bilder der Nazi-Aufmärsche dazu in den Kopf kommen, die die erste Strophe des Liedes für ihre Kriegspolitik missbrauchten („Deutschland, Deutschland über alles“). Außerdem wird die erste Liedstrophe nach seiner Einschätzung ewig die Gefahr bergen, von Neonazis instrumentalisiert zu werden.

Die Empörung über den Vorstoß von Ramelow, dem einzigen Ministerpräsidenten der Linken in Deutschland, ist erheblich. Aber es mischen sich nachdenkliche Töne in die Debatte. Insofern hat sich in den vergangenen Jahren womöglich doch etwas geändert. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die Pfarrerstochter aus der DDR, denkt inzwischen laut darüber nach, dass es wohl doch die eine oder andere Errungenschaft in der DDR gab, die nach der Wende vorschnell aufgegeben wurde. Der langjährige Vorsitzende der Linken, Gregor Gysi formuliert es immer so: „Der Westen konnte nicht aufhören zu siegen.“ In Ostdeutschland sei selbst die gut funktionierende Gesundheitsversorgung und Kinderbetreuung plattgemacht worden. Jetzt, 30 Jahre später, fange man an, das wieder aufzubauen.

Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) bezweifelt zwar, dass die Ostdeutschen ein Problem mit der Nationalhymne haben. Aber er hat trotzdem einen Veränderungsvorschlag: „Ich könnte mir vorstellen, die Hymne ergänzen zu lassen, um eine zweite und dritte Strophe, geschrieben von zeitgenössischen Dichtern“, sagte er dem Nachrichtenportal „t-online.de“. Der sächsische Linksfraktionschef Rico Gebhardt nennt die Diskussion „überfällig“ und spricht sich für die „Kinderhymne“ von Bertolt Brecht als Ersatz für die Nationalhymne aus. Diese entspreche „einem aufgeklärten Heimatverständnis, das keinen Platz für Nationalismus und übersteigerten Patriotismus lässt.“

Die neue FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg sagt, es brauche keine neue Nationalhymne. „Hymne und Flagge sind Teil unserer Freiheitsgeschichte in der Tradition der Revolution von 1848. An Einigkeit und Recht und Freiheit ist nichts überholt. Mit dieser Tradition sollten wir nicht brechen, sondern uns gerade auf sie besinnen.“ Deutschland brauche aber etwas anderes Neues: „Ein großes gesamtdeutsches Gespräch über den Stand der Deutschen Einheit.“

In der Union ist der Ärger über Ramelow größer. „Wenn Herr Ramelow von den SED-Nachfolgern der Linkspartei ein Problem mit Einigkeit und Recht und Freiheit hat, dann sollte er seine Haltung überdenken, aber nicht unsere Nationalhymne ändern“, sagt CSU-Generalsekretär Markus Blume. Der innenpolitische Experte der Unionsfraktion, Philipp Amthor, findet Ramelows Idee „überflüssig und spalterisch“. Auch der innenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, meint: „Es gibt keinen besseren Text, der mir im Sinne eines breiten gesellschaftlichen Konsenses einfallen würde.“

Der Kölner Psychologe Stephan Grünewald beschreibt eine Nationalhymne als „nationales Bindemittel“. „Alle singen für eine Minute den gleichen Text, ein sanglicher Gleichklang entwickelt sich.“ Eine neue Nationalhymne könne aber nicht verordnet werden. In der aktuellen Situation in Deutschland würde man mit einer Neuerung seiner Ansicht nach auch die Stabilität, die die Nationalhymne gibt, aufgeben. „Wenn es uns aber gelingt, eine Aufbruchsstimmung und eine neue Gesinnung zu entwickeln, dann sollte das auch musikalisch untermauert werden.“

Grünewald sagt, dass die Deutschen immer auf der Suche nach sich selbst seien. Das hänge mit der Geschichte zusammen. „Denn als Volk im Herzen von Europa seien die Deutschen ungeheuren Einflüssen ausgesetzt. Die Folge sei ein ewiger Unruhezustand. Grünewald: „Da sind wir Deutschen froh, wenn es Momente wie bei der Nationalhymne gibt, in denen wir zeigen können: Wir sind da.“

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