Presse in der Türkei Harte Worte, aber keine Konsequenzen für die Türkei

Berlin · Die Verhaftungen bei der türkischen Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ nennt die Kanzlerin alarmierend. Die Androhung von Konsequenzen vermeidet sie aber bewusst.

 Demonstranten machen sich stark für die unter staatlichem Druck stehende Zeitung "Cumhuriyet".

Demonstranten machen sich stark für die unter staatlichem Druck stehende Zeitung "Cumhuriyet".

Foto: AFP

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Tonlage gegenüber der Türkei nach den Verhaftungen bei der türkischen Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ zwar verschärft, sie vermeidet aber weiterhin die Androhung von Konsequenzen. Die Gesprächskontakte müssten unbedingt erhalten bleiben, heißt es in der Bundesregierung.

Merkel sagte mit Blick auf die Türkei in Berlin, es sei „für mich und für die gesamte Bundesregierung in höchsten Maße alarmierend, dass das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit immer wieder aufs Neue eingeschränkt wird“. Sie habe „sehr große Zweifel daran“, dass die Verhaftungswelle „rechtsstaatlichen Prinzipien entspricht“. Die Bundesregierung werde deshalb die Strafverfahren „genau verfolgen“, so Merkel.

Die verfolgten Journalisten könnten sich „unserer Solidarität gewiss sein“. Deshalb habe ja auch der deutsche Botschafter, Martin Erdmann, die Redaktionsräume von Cumhuriyet besucht. Man werde „auf allen Ebenen deutlich machen“, dass die Meinungsfreiheit in einem Rechtsstaat von überragender Bedeutung sei und natürlich spiele „das in den Beitrittsverhandlungen eine zentrale Rolle“, so Merkel.

Verhaltene Reaktion aus Berlin

Bereits am Montag waren der Chefredakteur sowie etwa ein Dutzend weitere Mitarbeiter von „Cumhuriyet“ verhaftet worden. Die türkische Regierung verschärfte damit abermals ihr Vorgehen gegen regierungskritische Medien, die sie der Unterstützung von Terroristen bezichtigt. Die Reaktion aus Berlin war dennoch zunächst sehr verhalten ausgefallen. Sprecher der Regierung äußerten sich lediglich „besorgt“, Merkel selbst äußerte sich zunächst gar nicht.

Dies war auf harsche Kritik gestoßen. Der ehemalige Chefredakteur von „Cumhuriyet“, Can Dündar, sagte, die Reaktion sei „wirklich schwach“ gewesen. „Berlin hat die Verhaftungen nicht einmal verurteilt“, sagte Dündar: „Besorgt sein hilft uns türkischen Journalisten nicht.“ Dündar, gegen den die Türkei ebenfalls vorgehen will, lebt derzeit in Deutschland im Exil. Auch der Deutsche Journalistenverband (DJV) kritisierte, Merkel engagiere sich nicht für die Pressefreiheit in der Türkei.

Die Kanzlerin versuchte nun mit ihren Äußerungen, die Kritiker zu besänftigen. Allerdings vermied sie die Androhung konkreter Konsequenzen, etwa die Verschiebung der vereinbarten Visafreiheit. Regierungssprecher Steffen Seibert wollte sich auch nicht dazu äußern, ob den harschen Worten auch Taten folgen. „Wir führen derzeit keine Sanktionsdebatte“, so Seibert, der stattdessen abermals darauf hinwies, wie wichtig es sei, mit der Türkei im Gespräch zu bleiben.

Graf Lambsdorff greift Bundesregierung an

Auch der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, machte deutlich, dass Debatten über Strafmaßnahmen „überhaupt nicht angebracht“ seien. Zu wichtig sei die Türkei als Partner bei der Lösung der Konflikte in Syrien und im Nahen Osten sowie bei der Bekämpfung der Terroristen des IS, betonten Seibert und Schäfer. Unerwähnt ließen beide, dass Merkels Hauptinteresse darin bestehen dürfte, den EU-Flüchtlingspakt mit Ankara nicht zu gefährden. Dieser soll Merkels Ansicht nach zur Blaupause der EU bei der Bewältigung des Flüchtlingsandrangs werden.

Eine Bedingung der Türkei war allerdings die Visafreiheit, die eigentlich noch in diesem Jahr in Kraft treten sollte. Daraus werde jetzt wohl nichts mehr, sagte der Vizepräsident des Europäischen Parlamentes, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), der in diesem Zusammenhang die Bundesregierung wegen ihrer „Zaghaftigkeit“ heftig anging. Es müsse völlig klar sein, dass „ohne eine Kehrtwende in der Türkei die Visafreiheit und ein EU-Beitritt überhaupt nicht denkbar sind“.

Wie wenig die Türkei derzeit von kritischen Worten aus Europa hält, machte Ministerpräsident Binali Yildirim deutlich, der im türkischen Parlament EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) regelrecht verhöhnte. Dieser hatte davon gesprochen, dass die Türkei bei der Missachtung der Presse- und Meinungsfreiheit eine rote Linie überschritten habe. Yildirim entgegnete darauf: „Bruder, deine rote Linie interessiert uns nicht.“

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