Porträt Gregor Gysi: Milde zum Schluss

Berlin · Gregor Gysi ist in seinem Element - bei seinem Thema: deutsche Einheit. Doch auf Angriff, auf rigorose Attacke gegen die große Koalition der Regierenden ist der Vorsitzende der Linke-Bundestagsfraktion an diesem Morgen nicht programmiert. Ganz im Gegenteil.

 Gregor Gysi.

Gregor Gysi.

Foto: dpa

Gysi ist milde gestimmt, versöhnlich sogar. Er formuliert Sätze wie: "Die meisten Linken haben begriffen, dass ein Bundestag ohne Union nicht gut wäre." Allerdings habe er auch den Eindruck, dass es "noch zu viele in der Union" gebe, die sich ein Parlament ohne die Partei Die Linke gut vorstellen könnten.

Aber bitte, nach all den Jahren politischer Auseinandersetzung liefert der Jurist und Rechtsanwalt auch gleich noch ein Plädoyer für eine "andere politische Kultur" im Hohen Haus. Was wäre so schlimm, würde die Union mal einen Antrag der Linken unterstützen - und umgekehrt? "Denken Sie mal darüber nach!"

Der 67 Jahre alte Politiker hält nach insgesamt zwölf Jahren als Fraktionschef von PDS (1998 bis 2000) und der Linken (seit 2005) seine letzte Rede in dieser Funktion. Wenn der Bundestag in zwei Wochen wieder tagt, wählt die Linke-Fraktion am 13. Oktober seine Nachfolger: Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch sind dafür als Doppelspitze gesetzt.

Doch für einige Minuten ist Gysi noch einmal Oppositionsführer. Er erinnert in der Debatte über den Stand der deutschen Einheit daran, dass in der untergegangenen DDR nicht alles schlecht gewesen sei. Die Polykliniken von damals, mit umfassender Behandlung vieler Disziplinen unter einem Dach, hießen heute im vereinten Deutschland eben Ärztehäuser.

Und öffentlicher Nahverkehr sei damals bezahlbar gewesen. Zum Schluss legt Gysi noch einen Zehn-Punkte-Plan vor, in dem er unter anderem gleichen Lohn für gleiche Arbeit, zehn Euro Mindestlohn und gleiche Renten in Ost und West anmahnt. Gysi nimmt sich 17 Minuten, obwohl er nur zehn Minuten Redezeit gehabt hätte.

Bundestagspräsident Norbert Lammert wird nachher sagen, Gysis Rede habe "streckenweise den Charakter einer Regierungserklärung" gehabt. Jetzt fehlten "nur noch die erforderlichen Mehrheiten", schließt Lammert süffisant.

Gysi tritt also ab und hat doch auch vorgelebt: Niemals geht man so ganz. Im Herbst 2000, nach einer Abstimmungsniederlage beim PDS-Parteitag, als der Vorstand mit dem Antrag scheiterte, Militäreinsätze bei Völkermord in Ausnahmefällen wenigstens "prüfen" zu dürfen, war Gysi schon einmal vom Fraktionsvorsitz zurückgetreten.

Dieses Mal will Gysi tatsächlich vom Fraktionsvorsitz lassen, aber als Abgeordneter dem Bundestag und der aktiven Politik erhalten bleiben. Im Bundestag hatte er es gegen viele Anfeindungen nicht immer leicht. So sah er sich im Immunitätsausschuss des Bundestages heftigen Angriffen ausgesetzt, weil das Gremium es 1998 als erwiesen angesehen hatte, dass Gysi unter Decknamen wie "IM Notar" als Anwalt in der DDR mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet habe.

Gysi hatte sich gegen Vorwürfe, er habe Informationen über Mandanten an die Stasi verraten, jedoch mehrfach erfolgreich gerichtlich gewehrt.

Die Kämpfe haben Narben bei Gysi hinterlassen. Er habe auch deshalb die Abgeordneten des Bundestages nie als "liebe Kolleginnen und Kollegen" begrüßt. Doch an diesem Tag will er "sich einen Ruck geben" und wünscht, jawohl, den "lieben Kolleginnen und Kollegen" viel Glück und Gesundheit. Da ringen sich sogar einige Unionsabgeordnete zu einem kurzen Applaus durch.

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