Interview mit Bundesentwicklungsminister Gerd Müller über die Bedeutung der Kleinbauern und fairen Handel

BONN · Die Räumlichkeiten atmen den Hauch der Geschichte. Der Bonner Sitz des Entwicklungsministeriums (BMZ) ist im ehemaligen Kanzleramt untergebracht. Zum Interview lädt Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ins frühere Büro von Helmut Kohl.

Herr Minister, Sie gehörten zum Überraschungspaket der CSU bei der Koalitionsbildung. Was verbindet Sie mit Entwicklungspolitik?
Gerd Müller: Das Thema begeistert mich seit meiner Jugend. 1988 habe ich meinen ersten entwicklungspolitischen Kongress organisiert. Das war, als Carl-Dieter Spranger Entwicklungsminister wurde, wir waren die junge Truppe um ihn herum, die ihn damals unterstützt hat. Entwicklungspolitik war damals wie heute ein Herzensthema junger Leute. Im Übrigen: 90 Prozent der Bevölkerung halten Entwicklungspolitik für ein spannendes und wichtiges Thema. Diese Zustimmung müssen wir in der Politik noch erreichen.

Würde es helfen, wenn das BMZ mehr Kompetenzen hätte?
Müller: Wir haben ausreichende Kompetenzen. Wir sind das globale Zukunftsministerium. Entwicklungspolitik ist von Klima über Umwelt bis hin zu Ernährung und Handel Zukunftspolitik. Außerdem haben wir eine zentrale Rolle in der Friedenspolitik. Mag sein, dass dies noch nicht bei allen Bürgerinnen und Bürgern angekommen ist. Ich habe jedenfalls den Ehrgeiz, dies zu ändern.

Im Agrarministerium haben Sie sich um die Exporte der deutschen Landwirtschaft gekümmert, jetzt geht es für Sie um die Förderung der Landwirtschaft in der Dritten Welt und deren Schutz vor Billigexporten etwa aus Europa. Wie schafft man solch einen Perspektivwechsel?
Müller: In meiner Rolle im Landwirtschaftsministerium wurde ich manchmal in der Wahrnehmung auf Export reduziert. Tatsächlich war ich zuständig für den großen Bereich Ernährung mit Schwerpunkt Welternährung und internationale Agrarpolitik. Und das ist ja eines der Kernthemen: Wie schaffen wir die Lösung der Armut- und Hungerprobleme in der Welt? Das geht nicht ohne Landwirtschaft, Steigerung der Produktivität und Kooperation auf diesem Sektor.

Sie sprechen sich für die Stärkung bäuerlicher Familienbetriebe und die Schaffung regionaler Wertschöpfungsketten aus. Bedeutet das den Abschied vom Schulterschluss mit der Agroindustrie, für den sich ja Ihr Vorgänger Dirk Niebel (FDP) starkgemacht hat?
Müller: Bauern und bäuerliche Familien sind die Grundlage des Wirtschaftens und Seins, der Landschaft, der Ernährung, des Ressourcenschutzes. Das war vor 200 Jahren in Deutschland nicht anders. Es gab keine Agrarfabriken, losgelöst von Besitz und Scholle, sondern Bauern und Bäuerinnen, die über Jahrhunderte ihr Stück Land gehegt und gepflegt haben. Damals ist auch der Begriff Nachhaltigkeit in der Land- und Forstwirtschaft entstanden. Auf dieser Basis müssen wir auch Entwicklungspolitik im Sektor Landwirtschaft gestalten. Es ist für mich unglaublich, dass die ärmsten unter den 800 Millionen Hungernden und Unterernährten auf der Welt im Wesentlichen Kleinbauern und ihre Familien sind. Das müssen und können wir ändern.

Wie soll das gehen?
Müller: Indem wir die vorhandenen Potenziale insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent in Partnerschaft entwickeln. Meine Philosophie ist, den Kleinbauern Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie zum Beispiel über den Genossenschaftsgedanken Strukturen entwickeln, die lebens- und marktfähig sind. Dazu gehört auch das Thema Kreditfähigkeit und Steigerung der Produktivität. Die Potenziale an Boden, Wasser und Land sind vorhanden, dass Afrika und die Welt sich ernähren können, dass niemand hungern muss. Wir müssen sie aber entwickeln, und dazu ist die erste und wichtigste Grundlage der Transfer von Bildung, Wissen und Knowhow.

Bleiben wir bei Afrika: Viele dort wünschen sich - auch mit Blick auf die aktuellen Krisenherde - ein stärkeres deutsches Engagement ...
Müller: Das BMZ ist das Afrikaministerium. Wir setzen dort über die Hälfte unserer Gesamtmittel in operativen Programmen um. Bei allen Krisen und Herausforderungen ist Afrika ein Chancen-Kontinent. Die Bevölkerung Afrikas wächst doppelt so schnell wie die Lateinamerikas oder Asiens. Schon 2025 wird einer von vier jungen Menschen dieser Welt aus der Subsahara-Region kommen. Es geht darum, dieser Generation Perspektiven zu bieten. Deshalb ist Afrika für uns bereits ein Schwerpunkt.

Ein afrikanisches Land - Uganda - macht im Moment mit seinem extrem harten Anti-Homosexuellen-Gesetz Schlagzeilen. Einige europäische Länder haben deshalb ihre Hilfe gestoppt. Wie reagiert Deutschland?
Müller: Wir haben das Gesetz scharf missbilligt und fordern Uganda auf, sich auf den internationalen Standard der Menschenrechte zu besinnen. Ich habe sämtliche Projekte auf den Prüfstand gestellt. Solche, die wir mit Partnerorganisationen durchführen, sollten wir nicht stoppen. Das würde die Menschen unmittelbar treffen.

Wird die Konditionierung der Hilfe, also etwa die Orientierung an der Einhaltung von Menschenrechten, künftig eine größere Rolle spielen?
Müller: Das spielt jetzt schon eine große Rolle. Konditionierung ist wichtig. Good Governance, Kampf gegen Korruption, Menschenrechte, demokratische Strukturen, Gleichberechtigung der Frau - das sind die grundlegenden Standards, auf die wir hinarbeiten. Leider sind in vielen Staaten diese Standards nicht im europäischen Sinne umgesetzt. Aber die Lösung kann auch nicht sein, dass wir allen Länder, die diese Standards nicht erfüllen, die Zusammenarbeit aufkündigen. Es geht in erster Linie um die Menschen. Wir dürfen keinen abseits stehen lassen. Ich kann nicht Menschen von Zusammenarbeit und Hilfe ausschließen, weil an der Spitze korrupte Diktatoren oder Staatsführer stehen. Aber ich kann die Zusammenarbeit mit Regierungen aufkündigen und dafür Nicht-Regierungsorganisationen stärken.

Sie wollen die Unternehmen stärker in die Verantwortung nehmen, um Menschenrechte und Sozialstandards sicherzustellen. Wie soll das funktionieren?
Müller: Keiner, auch nicht die Wirtschaft, kann sich in unserer globalisierten Welt seiner Verantwortung entziehen. Kluges Wirtschaften bedeutet heute nachhaltiges Wirtschaften und das setzt sich auch immer mehr bei den Konsumenten durch. Wir wollen wissen, unter welchen Bedingungen unsere Lebensmittel und unsere Kleidung hergestellt werden. Deshalb steht für mich Fair Trade auf meiner politischen Agenda ganz oben. Wir wollen Licht ins Dunkel von Gütesiegeln bringen. Das ist im allerbesten Sinne Entwicklungspolitik. Wir müssen uns fragen, ob die Produkte, die wir konsumieren, unter fairen Bedingungen hergestellt wurden.

Afrika ist ja auch der Kontinent der Flüchtlinge. Europa reagiert eigentlich nur mit Polizeimaßnahmen. Reicht das aus?
Müller: Das Flüchtlingsproblem ist dramatisch, und die Scheinwerfer der Weltöffentlichkeit sind ausgeschaltet. Das ist absolut nicht hinnehmbar. Ich habe vor Kurzem in Jordanien an der syrischen Grenze das Flüchtlingslager Zaátri besucht. Dort haben 100.000 Syrer Zuflucht gefunden, Jordanien insgesamt hat über 600.000 syrische Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Das Elend ist dramatisch. Europa und die Weltgemeinschaft stehen in der Verpflichtung. Für die Menschen in Syrien wurden im UN-Sicherheitsrat endlich Hilfskorridore vereinbart. Aber die Hilfe muss jetzt umgesetzt werden. Millionen von Syrern leben buchstäblich von nichts. Sie beißen ins Gras, werden von den Kriegsparteien als Geiseln genommen, elementare Standards des Völkerrechts werden missachtet, ohne dass die Weltgemeinschaft in angemessener Weise reagiert.

Bürgerkriegsflüchtlinge sind die eine Sache, Armutsflüchtlinge, die auf dem Weg über das Mittelmeer vor Lampedusa ihr Leben lassen, die andere...
Müller: Deshalb ist unsere Arbeit - die Schaffung von Lebensperspektiven in der Mittelmeerregion, im Nahen Osten und in afrikanischen Staaten - nicht nur aus humanitären Gesichtspunkten wichtig, sondern auch im eigenen Interesse. Wir müssen Lebensperspektiven für die Menschen in ihren Ländern schaffen. Das können wir mit unseren Möglichkeiten. Kein Mensch kommt freiwillig unter Lebensgefahr über das Mittelmeer zu uns.

Aber unsere Möglichkeiten sind höchst begrenzt, wenn man an den BMZ-Etat denkt. Das Ziel, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, liegt in weiter Ferne.
Müller: Es kommt auf den politischen Willen an. Hier fehlt mir besonders das koordinierte europäische Vorgehen: ein europäisch abgestimmtes Flüchtlingskonzept, ein Mittelmeer- und Nordafrika-Konzept. Das wäre wichtiger als sich darum zu kümmern, ob Ölkännchen auf deutschen Restauranttischen stehen dürfen. Was den Mittelmeerraum angeht, waren wir bei der Kooperation, im Denken, in der Strategie vor zehn Jahren weiter als heute.

Noch mal die Frage: Reichen die deutschen Mittel aus?
Müller: Das 0,7-Prozent-Ziel halte ich nach wie vor für richtig und notwendig. Wir sind auf dem richtigen Weg mit der Stärkung der Haushaltsmittel um zwei Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode. Damit sind wir neben Infrastruktur, Verkehr und Familie das einzige Ressort mit steigendem Haushalt. Der Staat allein kann das aber nicht bewältigen. Ich möchte die deutsche Wirtschaft, den Mittelstand, aber auch die Hochschulen und die Städte für Partnerschaften, für Austausch mit Afrika gewinnen. Afrika ist der Chancen- und Wachstumskontinent vor unserer Haustüre - mit reichen Ressourcen und mit Innovationskraft.

Aber 500 Millionen Euro pro Jahr mehr im Etat - das ist nicht so viel, wie man sich zu Beginn der Koalitionsverhandlungen vorgestellt hat.
Müller: Geld allein ist nicht alles, es kommt darauf an, was sie daraus machen. Wir werden diese Mittel in sinnvolle Projekte einbringen: Ausbau der Bildungskooperation, berufliche Bildung, Hochschulaustausch und, was mir besonders wichtig ist, den Aufbau von Grünen Zentren in Afrika. Das sind Wertschöpfungszentren entlang der Kette vom Acker bis zum Teller. In vielen Ländern nicht nur Afrikas mangelt es ja nicht nur an Kenntnissen zur Steigerung der Erträge, sondern auch zu ihrer Verarbeitung. In Indien etwa gehen 50 Prozent der Ernte verloren, weil es keine Lager gibt, keine Logistik und weil die verarbeitende Industrie fehlt.

Ihr Amtsvorgänger Dirk Niebel war ja für viele der Mann mit der umstrittenen Fallschirmjäger-Mütze, seinem Markenzeichen. Was ist Ihr Markenzeichen?
Müller: Niebel hat seine Verdienste. Die Mütze aber war ein absolut falsches Symbol, sie stand für Militarismus. Entwicklungszusammenarbeit steht für das Gegenteil: Sie setzt auf Frieden, Kooperation, Krisenbewältigung.

Und Ihr Markenzeichen?
Müller: Das ist der partnerschaftliche Handschlag und eine werteorientierte Entwicklungspolitik.

Zur Person

Mit der einstigen Fußballlegende hat der CSU-Politiker aus dem Allgäu nur den Namen gemeinsam. Gerd Müller, 1955 geboren, Diplom-Wirtschaftspädagoge, war von 1989 bis 1994 Mitglied des Europäischen Parlaments, 1994 wurde er in den Bundestag gewählt. 2005 wurde er Parlamentarischer Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, seit 17. Dezember 2013 ist er Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Müller ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

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