Interview mit früherem SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering: "Man muss im Alter aktiv bleiben"

Bonn · Franz Müntefering plädiert in seinem Buch dazu, auch im Alter aktiv zu bleiben. Im Interview spricht er über seine Vorstellungen im Alter, den Dialog zwischen den Generationen und die Grundrente.

 Der ehemalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering.

Der ehemalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering.

Foto: picture alliance/dpa

Alter ist für Franz Müntefering kein Grund, nur behaglich auf dem Sofa zu sitzen. Im Gegenteil: Der 79-jährige frühere SPD-Vorsitzende plädiert in seinem Buch „Unterwegs. Älterwerden in dieser Zeit“ dafür, aktiv zu bleiben, und lebt das auch vor.

Herr Müntefering, wie erleben Sie das Älterwerden?

Franz Müntefering: Ich merke natürlich, dass ich älter werde. Die körperlichen Fähigkeiten entwickeln sich ein bisschen wie eine ballistische Kurve, man ist nicht mehr so schnell, stark und ausdauernd, und die Koordination ist auch nicht mehr so gut. Aber insgesamt bin ich zufrieden, so kann das noch lange weitergehen.

Wie wird man denn gut älter?

Müntefering: Das ist bei jedem anders. Aber natürlich spielen die soziale Sicherheit und die Gesundheit eine Rolle. Und da kann jeder ein bisschen mithelfen, indem er aktiv bleibt und sich bewegt statt sich in den Liegestuhl zu legen.

Wie machen Sie das?

Müntefering: Durch Gymnastik und Gehen. Inzwischen jogge ich nicht mehr, das geht zu sehr auf die Knie, sagen die Ärzte. Also gehe ich stramm, mache regelmäßig Spaziergänge oder gehe auf dem Laufband. Das ist wichtig, genauso wie vernünftig zu essen und zu trinken. Eigentlich sind das Selbstverständlichkeiten, aber es ist doch nützlich, wenn man sich daran hält. Außerdem ist es wichtig interessiert zu bleiben, egal ob es um Fußball, Theater, Politik oder Gesellschaft geht. Man braucht ein Steckenpferd und muss aktiv bleiben. Jeder sollte auch etwas für seine sozialen Kontakte tun, um nicht zu vereinsamen. Das passiert schnell.

Die Älteren sollen sich also einmischen?

Müntefering: Ja, das ist ganz wichtig. Das ist auch nicht nur ein Rat, sondern eine Verantwortung, die wir haben. Das Grundgesetz gilt ja nicht nur für Menschen bis 65 Jahre. Solange dein Kopf klar ist, bist du mitverantwortlich für das, was im Land passiert und wie es für die Jüngeren weitergeht.

Wie machen Sie das? Unter anderem sind Sie ja Vorsitzender der in Bonn ansässigen Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (Bagso).

Müntefering: Ich kümmere mich um mehrere Dinge. So bin ich auch Präsident beim Arbeiter-Samariter-Bund und engagiere mich im Hospiz- und Palliativbereich sowie beim Thema Demenz. Aber mich beschäftigt auch das Thema Demokratie. Ich war gerade wieder zu Gast an zwei Schulen und habe dort mit den Mädchen und Jungen diskutiert. Es ist ganz wichtig, dass wir Älteren mit den Jüngeren über deren Sorgen sprechen und dabei auch unser eigenes Leben einbringen. Weltweit gehen gerade junge Leute wegen des Klimawandels auf die Straße und sagen: Ihr Alten, passt auf, dass die Welt nicht kaputtgeht. Auch in Bezug auf Europa ist der Generationendialog wichtig. Europa ist ja unsere Lebensgeschichte.

Wie meinen Sie das?

Müntefering: Ich bin 1940 geboren, meine ersten Erinnerungen habe ich an das Ende des Zweiten Weltkriegs, an den Hunger und die Alltagsprobleme. Jetzt haben wir seit 74 Jahren Frieden. Europa ist eine große Chance für uns, nicht nur für den Frieden, sondern auch für den Wohlstand. Ich würde mir auch für die Europawahl im Mai ein bisschen mehr Begeisterung wünschen, momentan ist das alles so verhalten. Dabei müssen wir aufpassen, denn überall in Europa gewinnen Nationalisten an Zulauf.

Reden wir zu wenig über das Alter?

Müntefering: Man muss nicht jeden Tag drüber reden, aber man muss sich vernünftig vorbereiten. Das machen aber nicht alle Familien und Paare. Eine Maßnahme ist es, Barrieren in den Wohnungen wegzuräumen. In den vergangenen Jahren hat die Zahl der Sturzunfälle bei älteren Menschen sehr zugenommen. Das muss nicht sein. Man sollte sich auch mit dem Sterben auseinandersetzen, mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung. Aber das darf auch nicht das Hauptthema sein. Nach dem Arbeitsleben hat man heute noch 20 oder 30 oder mehr Jahre ein richtig gutes Leben. Das hatten die Generationen vor uns nicht.

Was folgt aus diesem demografischen Wandel?

Müntefering: Wir müssen uns fragen, was das für die sozialen Sicherungssysteme bedeutet. Wir müssen rational über die Rente debattieren. Und wir müssen uns mit Fachkräftemangel, Land-Stadt-Wanderungen und daraus folgenden Mietpreisexplosionen in der Stadt und Leerständen auf dem Land auseinandersetzen. Das sind erhebliche Verwerfungen. Ich bin zuversichtlich, dass wir gute Antworten geben können, aber das setzt voraus, dass wir den Wandel erkennen, ihn annehmen und Antworten darauf suchen – und zwar der Staat, die Gesellschaft und der Einzelne gemeinsam.

Wie lautet Ihre Antwort etwa beim Thema Pflege?

Müntefering: Die Pflegeversicherung muss weitergeschrieben werden. Momentan arbeitet daran die konzertierte Aktion Pflege, die Mitte des Jahres Vorschläge auf den Tisch legen will. Da sind die Minister Jens Spahn, Franziska Giffey und Hubertus Heil besonders gefragt. Ich wäre zum Beispiel dafür, dass Menschen, die Angehörige zu Hause pflegen, dafür auch leichter als bisher Rentenversicherungszeiten angerechnet bekommen. Ich stelle mir das ein bisschen so vor wie bei Kindererziehungszeiten auch. Das ist auch volkswirtschaftlich günstiger, als wenn alle in stationäre Einrichtungen gehen.

Welche Rolle kommt den Kommunen zu?

Müntefering: Eine entscheidende. Der aktuelle Altenbericht sagt: Im Grunde werden wir die Probleme nur vor Ort lösen können. Die Kommunen und die Stadtteile sind sehr unterschiedlich, da kann es nicht eine Lösung von oben geben. Wir sollten die Kommunen verstärkt in die Pflicht nehmen, sich Gedanken über die Altenhilfe zu machen. Aber dazu müssen sie auch die nötige finanzielle Ausstattung erhalten.

Müntefering: Ich finde es gut, dass eine Diskussion darüber begonnen hat und halte die Einführung für richtig. Das System der Grundsicherung, das 2003 eingeführt worden ist, muss weiterentwickelt werden. Die genaue Ausgestaltung einer solchen Grundrente muss man dann den Verhandlern der Koalitionäre überlassen. Aus meiner Sicht sind aber Momente der Bedürftigkeitsprüfung wichtig und müssen beachtet werden. Ich sage allerdings auch: Macht die Hürden nicht zu hoch, und versucht, Euch zu verständigen.

Hält die große Koalition?

Müntefering: Ich sehe momentan keinen Grund, nicht zusammenzubleiben, denn nach den schwierigen Anfängen ist jetzt eine Menge in Bewegung gesetzt worden. Mitte des Jahres soll die Kommission Pflege, aber auch eine Kommission Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ihre Perspektiven vorlegen. Ich finde nicht, dass es gescheit wäre, das liegen zu lassen.

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