Prozess gegen den Kapitän der Costa Concordia Francesco Schettino gegen den Rest der Welt

ROM · In diesem Gerichtssaal hängt an der Decke ein glitzernder Kronleuchter. Die Zuschauer können das Geschehen von Logen aus verfolgen, die sich über vier Stockwerke verteilen oder von bequemen, mit rotem Samt bezogenen Sesseln im Parkett aus. Normalerweise werden im Teatro Moderno von Grosseto Theaterstücke oder Konzerte aufgeführt. Nun steht ein Solo-Drama auf dem Spielplan.

Francesco Schettino, zuweilen abfällig als "Kapitän Feigling" bezeichnet, gegen den Rest der Welt. 300 Journalisten haben sich für das Hauptverfahren gegen den mutmaßlichen Verantwortlichen für die Havarie der Costa Concordia akkreditiert.

Dienstag soll im Teatro Moderno der toskanischen Kleinstadt der Prozess beginnen, möglicherweise verschiebt sich der Prozessbeginn aber in letzter Minute um eine Woche. Italiens Anwälte streiken. Spätestens ab dem 17. Juli wird dann Schettinos Rolle in einem der größten Schifffahrtsunglücke der Moderne aufgerollt. 32 Passagiere kamen ums Leben, als das mit 4229 Menschen besetzte Kreuzfahrtschiff wegen eines misslungenen Manövers am 13. Januar 2012 vor der Insel Giglio auf Grund lief.

Kapitän Schettino trägt Verantwortung für das Unglück, das gestehen auch seine Anwälte ein. "Doch hier wurde eine Figur konstruiert, die für alle Details der Tragödie verantwortlich sein soll", sagt sein Verteidiger Francesco Pepe. Er bezieht sich auf das weitverbreitete Bild vom "Kapitän Feigling".

Der wichtigste Mann an Bord, so sind die meisten überzeugt, verantwortete zunächst ein haarsträubendes Manöver in Küstennähe und flüchtete dann im Unglück, dem wichtigsten Moment seiner Seefahrerkarriere, vor der Verantwortung. Hunderte Menschen waren da noch an Bord.

Schettinos Verurteilung gilt als sicher, doch vor allem die Rolle der Reederei Costa Crociere ist weitgehend ungeklärt. Das Unternehmen nimmt als Zivilkläger am Prozess teil, hat im Vorverfahren aber bereits eine Strafe von einer Million Euro akzeptiert. "Das ist ein Eigentor", sagt Massimiliano Gabrielli, der zusammen mit einem Pool von Anwälten etwa 100 Passagiere vertritt, die Schadensersatz von der Reederei verlangen und sich nicht mit den 14 000 Euro Abfindung zufrieden geben wollen, die Costa Crociere pro Passagier angeboten hat. Etwa 70 Prozent aller 3000 Passagiere wurden bereits ausbezahlt.

Auch die etwa 1000-köpfige Besatzung bekam Geld. "Die Reederei nutzte die Schwäche vieler Crewmitglieder aus Indien, Indonesien und Sri Lanka aus und zahlte nur 1000 Euro pro Kopf", sagt Gabrielli.

Der Anwalt erhofft aus dem Strafprozess gegen den Kapitän bereits eine Vorentscheidung im Hinblick auf die Verantwortung der Reederei. Eine Anzeige der Anwälte, die bis zu einer Million Euro Schadensersatz pro Passagier fordern, löste neue Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Costa Crociere aus. "Costa Crociere ist der eigentliche Verantwortliche, wir hoffen auf ein Angebot oder einen eigenen Prozess gegen die Reederei", sagt Gabrielli.

Doch nun ist Schettino an der Reihe, der mit seinen Verteidigern wohl ganz allein vor Gericht erscheinen wird. Für seine fünf Mitangeklagten - zwei Offiziere, den Steuermann, einen Hoteldirektor sowie den Chef des Krisenstabs der Reederei - haben Anklage und Verteidigung in der Vorverhandlung verkürzte Haftstrafen ausgehandelt.

Die höchste Strafe beläuft sich auf zwei Jahre und zehn Monate Haft gegen den Chef des Krisenstabs der Reederei, Roberto F. Schettino scheiterte mit seinem Antrag auf drei Jahre und vier Monate Haft. Jetzt muss sich Schettino wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung, mehrfacher fahrlässiger Körperverletzung, Schiffbruch und Verlassen des Schiffs verantworten. "Ich habe keine Angst vor dem Gefängnis, mein Gewissen ist rein", sagte er.

Staatsanwalt Francesco Verusio hält den Kapitän für den Hauptverantwortlichen des Unfalls. Doch Schettinos Anwälte sind sicher, gute Gegenargumente zu haben. Da sei etwa der Steuermann, der das richtige Kommando Schettinos zur Kursänderung falsch ausgeführt haben soll. Etliche Routine-Operationen für den Notfall, das Notstromaggregat oder Schiffspumpen hätten nicht funktioniert und die Tragödie verschlimmert.

Oder die Tatsache, Schettino habe aufgrund seiner Position im sinkenden Schiff keine andere Wahl gehabt, als ins Wasser zu springen oder die Concordia vorzeitig auf einem Rettungsboot zu verlassen. Die Notfall-Operatoren der Reederei hätten ihn anschließend davon überzeugt, nicht wieder an Bord zu klettern.

Dass Costa Crociere während des Unglücks eine unrühmliche Rolle spielte, darüber sind sich Schettinos Verteidigung und die Vertreter der Opfervereinigung "Gerechtigkeit für die Concordia" einig.

Die Reedereiführung hätte die Praxis der gefährlich nahen Küstenpassage wie vor Giglio ausdrücklich gewünscht, behauptet Anwalt Gabrielli. Das Unternehmen habe so bei den Schaulustigen an Land Werbung für die eigenen Kreuzfahrten machen können. Schwer wiegt auch der Vorwurf, Costa Crociere habe den Alarm absichtlich verzögert.

"Bei Schiffbruch ist es üblich, dass die Bergungskräfte einen Teil des Werts des Wracks für sich beanspruchen dürfen. Aus Funkkontakten in der Unglücksnacht ergibt sich, dass die Reederei dies unbedingt verhindern wollte und absichtlich den Alarm verzögerte", sagt Gabrielli. Um das 500 Millionen teure Wrack zu retten, habe sie den Tod vieler Menschen in Kauf genommen.

Beobachter des Falles rechnen angesichts des internationalen Interesses mit einem raschen Prozess. Bis die gesamte Verantwortung für das Unglück der Costa Concordia ans Tageslicht kommt, könnte allerdings noch einige Zeit vergehen.

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