Grenzstreit Faustkampf zweier Atommächte

Bangkok · Indien und China tragen in einem gottverlassenen Himalaya-Winkel einen Territorialstreit mit Eskalationspotenzial aus. Die blutigen Nasen und gebrochenen Knochen, die es unter Ausschluss der Öffentlichkeit gab, schlagen Wellen bis nach Hamburg.

Auf dem 6000 Meter hohen Siachen-Gletscher haben Pakistan und Indien bereits vor Jahrzehnten das höchste Schlachtfeld der Welt im Tiefschnee eingerichtet. Mitte Juni hat Indien nun entlang der 3500 Kilometer langen, oft umstrittenen Grenze zu China den höchsten Boxring der Welt für Massenschlägereien in einem gottverlassen Himalaya-Winkel namens Doklam eingerichtet. „Wir haben nicht einen Schuss abgegeben“, erklärte ein Armeeoffizier in Delhi gegenüber einem Rundfunksender, „wir haben einen menschlichen Wall errichtet.“

Offenbar war der Menschenwall beim Territorialstreit um das Doklam-Plateau zunächst nicht besonders stark. Denn nachdem die Menschenkette im Hochgebirge nahe dem malerischen Sikkim die Baukolonnen zunächst vertrieben hatte, die im Auftrag Pekings eine Straße in der Region errichteten, gelang es beim Hochgebirgsringkampf einer chinesischen Gegenoffensive offenbar, zwei indische Bunker zwischen den Felsen des Himalaya zu demolieren.

Die blutigen Nasen und gebrochenen Knochen, die es unter Ausschluss der Öffentlichkeit gab, schlagen Wellen bis nach Hamburg. Beim G20-Gipfel in der Hansestadt werden der indische Premierminister Narendra Modi und Chinas Präsident Xi Jinping sich wegen der amtlich unterstützten Prügeleien geflissentlich aus dem Weg gehen.

Zudem wird der Ton auf den Rängen hitziger. Chinas Medien warfen das Wort Krieg in den Ring. Indiens hindunationalistische Regierung unter Premier Modi behauptet, sein Land gleiche nicht mehr dem Staat, dessen Soldaten 1962 bei einem Grenzkonflikt in der Region vor den überlegenen Soldaten Chinas die Flucht ergriffen. Delhis dezenter, aber deutlicher Hinweis auf seine Atomwaffen blieb zunächst unerwidert.

Dabei gehört das umstrittene Doklam-Plateau zumindest auf dem Papier zu keinem der beiden asiatischen Giganten, sondern ins Reich des Donnerdrachens. Bhutan, so der moderne Namen des souveränen und malerischen Zwergstaats im Himalaya, ist mehr für die Erfindung des „Nationalen Index des Glücks“ als Alternative zum international üblichen Bruttoinlandsprodukt bekannt. Die 8000 Mann starke Armee überlebt dank Indiens Unterstützung. Delhi stationierte zudem eigene Truppen entlang Bhutans Grenze zu China.

Die Arbeiter der chinesischen Baukolonnen, die in Pekings Auftrag die Straße auf dem Doklam-Plateau bauen sollten, holten sich blutige Nasen, als sie Pekings Erfolgsrezept aus dem Südchinesischen Meer im Hochgebirge anwenden wollten. Während der vergangenen Jahre hatte das Reich der Mitte kaltblütig seine Ansprüche auf umstrittene Inseln in der Meeresregion sprichwörtlich mit Beton ausgebaut und teilweise später militarisiert, obwohl einige südostasiatische Nachbarn lauthals protestierten. China verweigert bis heute die Anerkennung eines Urteils des Internationalen Schiedsgerichts in Den Haag, das Pekings Vorgehen im Südchinesischen Meer für illegal erklärte. Im Fall Doklam will China hingegen internationale Regeln anwenden und wirft Delhi vor, Richtlinien der Vereinten Nationalen zu verletzen. Außerdem beruft Peking sich auf eine Übereinkunft mit dem britischen Kolonialreich, um seinen „althergebrachten Anspruch“ auf Doklam zu untermauern.

Beobachter hoffen, dass es beim Streit der beiden Atommächte bei verbalen Speerspitzen und Faustkämpfen inmitten des Himalaya bleibt. Indien und China haben inzwischen mehr Soldaten in das entlegene Gebiet geschickt. Aber selbst ein unabsichtlich abgefeuerter Schuss könnte angesichts der schrillen Töne auf beiden Seiten schnell zu einer Eskalation führen.

Bislang leiden vor allem Pilger, die im Sommer über Sikkim zu heiligen Stätten in Tibet streben, unter dem gestörten Verhältnis der beiden Atommächte. Potenzial für weitere Zuspitzungen gibt es reichlich. Indien vereinbarte mit Vietnam just in diesen Tagen eine Fortsetzung von Ölbohrungen im Südchinesischen Meer in einem Gebiet, das ebenfalls von China beansprucht wird.

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