EU-Gipfel in Salzburg Europa baut bei Flüchtlingskrise auf Ägypten

In der Migration vollzieht die Europäische Union eine Wende. Eine Verteilquote für Flüchtlinge hat nicht mehr oberste Priorität, statt dessen ruht die Hoffnung auf der Regierung in Kairo.

 Wie geht es weiter mit dem Brexit? Premierministerin Theresa May und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Rande des EU-Gipfels.

Wie geht es weiter mit dem Brexit? Premierministerin Theresa May und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Rande des EU-Gipfels.

Foto: dpa

Jahrelang bemühte sich die EU um eine faire Verteilung der Lasten in der Flüchtlingskrise auf alle Mitgliedstaaten. Beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in Salzburg deutete sich am Donnerstag erstmals eine Wende an – Ägypten scheint bereit zu helfen.

Der österreichische Bundeskanzler nahm sich am Donnerstagmorgen besonders viel Zeit für die versammelten Medienvertreter. „Ich sage schon seit Jahren“, begann Sebastian Kurz, der beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in Salzburg nicht nur Gastgeber, sondern auch EU-Vorsitzender ist, „dass mit einer Verteilquote für Flüchtlinge die Probleme nicht gelöst werden.“ Die Beratungen der Staatenlenker hätten dies wieder gezeigt: „Die Chance, dass eine Quote für jeden Mitgliedstaat in den nächsten Jahren eine Lösung ergibt, halte ich für überschaubar.“ Es gebe allerdings Regierungschefs, die das Thema weiter auf der Agenda halten wollten, „deshalb werden wir auch immer wieder darüber reden.“

Tatsächlich sieht die Mehrheit der EU-Länder einen Schlüssel zur Beilegung dieses Streitpunktes inzwischen an anderer Stelle: Möglicherweise schon bis zum Ende des Jahres soll der Ausbau von Frontex zu einer 10.000 Mann starken Küsten und Grenzschutztruppe beschlossen werden. Das auf Wunsch Italiens eingefrorene Mandat der EU-Marinemission „Sophia“ könnte dann über die reine Seenotrettung hinaus auch auf das Aufbringen von Schlepperbooten ausgeweitet werden.

Die geborgenen Flüchtlinge bringen die Einheiten nicht mehr in europäische Häfen, sondern nach Nordafrika. Auf diesen Vorstoß hatten sich die Staats- und Regierungschefs bereits im Juni verständigt. Neu ist: Am vergangenen Wochenende hat der ägyptische Staatschef Abd al-Fattah as-Sisi zugesagt, mit der EU zusammenzuarbeiten. Sollte man sich bei einem EU-Ägypten-Gipfel im Februar einig werden, würde Kairo die Migranten aufnehmen, so dass diese fortan nicht länger europäischen Boden erreichen.

„Ausschiffungszentren“ heißen die geplanten Einrichtungen. Gedacht ist an eine Kopie des Modells, dass die Union seit drei Jahren mit Ankara praktiziert – und das zum Erliegen des Zustroms über türkisches Territorium geführt hat. Die positiven Signale aus Kairo, die as-Sisi offensichtlich am vergangenen Wochenende bei einem Besuch von Ratspräsident Tusk und dem österreichischen Kanzler Kurz gegeben hatte, wären im Falle einer belastbaren Zusage ein Durchbruch. Denn seit Monaten bemüht sich die EU um kooperationswillige Ansprechpartner im nordafrikanischen Raum. Aber bisher winkten die meisten Regierungen winkten ab – ebenso übrigens wie die EU-Hauptstädte. Schließlich hätte Aufnahmezentren auch an den Küsten der Gemeinschaft entstehen können. Aber innerhalb der Union schimpfte zwar jeder auf jeden, aber keiner hob den Finger.

„Ich habe das so noch nicht erlebt“, sagte am Donnerstag ein erfahrener EU-Diplomat. Auf der einen Seite gebe es bei dem Thema Migration immer wieder Reibereien – auch wenn die Atmosphäre dieses Mal von allen Seiten als „erkennbar besser“ gelobt wurde. Auf der anderen Seite aber stehe die EU der 27 in „einzigartiger Weise geschlossen“, sobald es um den Brexit geht.

In Salzburg vereinbarte man wie erwartet, den Gesprächen noch etwas mehr Zeit zu geben, um einen Kompromiss zu finden. Nun soll ein endgültiger Text bis November vorliegen und dann bei einem Sondergipfel gebilligt werden.

Londons Premierministerin Theresa May wurde aufgefordert, neue Vorschläge für die zukünftige Gestaltung der Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und Nordirland auszuarbeiten. May kündigte an, sie werde solche Vorschläge „in Kürze“ vorlegen. Ihr Ziel sei es, bis zum EU-Gipfel am 18. Oktober eine vollständige Brexit-Strategie auszuhandeln.

Die Kernfrage dabei ist: Wie lässt sich eine „feste Grenze“ zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland vermeiden? Nach bitteren Jahrzehnten mit Terror und Gewalt sind beide Inselteile seit dem Karfreitagsabkommen 1998 zusammengewachsen und sollen keinesfalls erneut geteilt werden. Andererseits entsteht mit dem Brexit nun mal eine neue EU-Außengrenze, die gegen ungeregelte Einfuhren oder Zuwanderung geschützt werden soll. EU und Großbritannien bekennen sich zwar zum Ziel: keine feste Grenze mit Kontrollen. Doch bei den Lösungswegen reden sie bisher aneinander vorbei.

Großbritannien will eine Art Binnenmarkt für Industriegüter, so dass Kontrollen entfallen könnten. Doch das reicht der Union nicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Man kann nicht zum Binnenmarkt gehören, wenn man nicht Teil des Binnenmarktes ist.“

Abgesehen davon hält sich ein großer Teil der Staats- und Regierungschefs immer noch an der Hoffnung fest, den Brexit abwenden zu können. Ein Mitglied der Runde bestätigte, dass sich „viele“ Staatenlenker für ein zweites Referendum im Vereinigten Königreich ausgesprochen haben.

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