Mögliche Brexit-Verschiebung EU ist "stinksauer" über Theresa May

Brüssel · Bei der EU wird ein Brief aus London erwartet - allerdings mit einem fast schon unglaublichen Vorschlag. Eine offizielle Bitte um Verschiebung des Brexit bringt weitere offene Fragen mit sich.

 Britische und europäische Flaggen wehen in London.

Britische und europäische Flaggen wehen in London.

Foto: AP

„Die Stimmung ist sehr schlecht“, sagte der deutsche Staatsminister für Europafragen Michael Roth (SPD), als er am Dienstag in Brüssel eintraf. Deutlicher konnte keiner der Amtskollegen, die zur Vorbereitung des EU-Gipfels am Donnerstag und Freitag angereist waren, die Atmosphäre beschreiben, ohne zu wenig diplomatischen Formulierungen zu greifen. Man sei „stinksauer“, brachte es ein hoher EU-Diplomat auf den Punkt.

Daran dürfte sich auch nichts ändern, wenn an diesem Mittwoch ein Brief der britischen Premierministerin Theresa May an EU-Ratspräsident Donald Tusk in Brüssel eintreffen sollte. Sein Inhalt: eine offizielle Bitte um Verschiebung des Brexit. Ersten Informationen zufolge erwägt May, den eigentlich für den 29. März geplanten Austritt zunächst bis Ende Juni zu verschieben.

Zustimmung ist fraglich

Sollte es bis dahin immer noch keine Mehrheit für den bereits fertigen Austrittsvertrag geben, solle der Brexit um ein Jahr verzögert werden. In diesem Fall müsste Großbritannien an der Europawahl Ende Mai teilnehmen. Beides passe nicht zusammen, bemerkte man am Abend in der Kommission schnell: Man könne schließlich nicht bis Ende Juni warten und dann eventuell einen Urnengang vom Mai nachholen.

Dass die 27 Staats- und Regierungschefs einem solchen Plan am Donnerstag beim EU-Gipfel zustimmen, erscheint zumindest fraglich. Zumal May offenbar immer noch glaubt, sie könne in Nachverhandlungen einige Verbesserungen des bisherigen Vertrages erreichen – wobei es aus dem Kreis der Europaminister nur mit einem zynischen Unterton hieß: Welche denn eigentlich? Die EU sei zwar entschlossen, einen No-Deal-Brexit auf jeden Fall verhindern, sagten Mitglieder der deutschen und französischen Minister-Delegation.

Austrittsvertrag nicht noch einmal aufschnüren

Fest stehe aber auch: Den bereits ausgehandelten Austrittsvertrag zwischen Brüssel und London will keine EU-Regierung noch einmal aufschnüren. Nachverhandlungen werde es nicht geben – die Deutlichkeit, mit der die Minister dies vorbrachten, war wohl auch ein Wink in Richtung Vereinigtes Königreich und sollte sagen: Das gilt für jeden, der wann auch immer Premierminister ist. Was die Europäer besonders ärgert ist die Tatsache, dass sie sich von May zunehmend verschaukelt fühlen. Die Regierungschefin wolle die EU hinhalten, um parteipolitische Spielchen zu treiben und sie nehme dabei die Union „regelrecht in Geiselhaft“, wie es ein Kommissionsvertreter ausdrückte. „Wir sind noch genau zehn Tage vom Brexit entfernt“, so Kommissionschef Jean-Claude Juncker.

Mit anderen Worten: Die Katastrophe eines Brexits ohne Deal sei keineswegs gebannt. Auch wenn das britische Unterhaus diesen Weg in der Vorwoche zurückgewiesen und auf einer Vereinbarung bestanden habe, gebe es diese nicht, so lange die Mehrheit nicht da sei. Der ungeregelte Brexit als Ergebnis eines „Unfalls“? Noch immer ist alles möglich.

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