Gerhard Schröder Einsichten eines Ex-Kanzlers

BERLIN · Er ist wieder da. Am Vorabend noch saß er in Reinhold Beckmanns ARD-Talk-Show und geißelte aus seiner Sicht rechtspopulistische Tendenzen an den Rändern von CSU und Alternative für Deutschland (AfD). Jetzt sitzt Gerhard Schröder in der hohen Halle der Hauptstadtrepräsentanz der Deutschen Bank in Berlin und stellt sein neues Buch vor.

 "Klare Worte": Gerhard Schröder, der in wenigen Wochen 70 Jahre alt wird, präsentiert sein Buch.

"Klare Worte": Gerhard Schröder, der in wenigen Wochen 70 Jahre alt wird, präsentiert sein Buch.

Foto: dpa

Von allen möglichen Veranstaltungsorten hat der Altkanzler die Deutsche Bank ausgesucht. Ausgerechnet diese feste Burg des Kapitalismus. Und natürlich lässt es sich Co-Vorstandschef Anshu Jain, der Gottseibeiuns der Linken und Kapitalismuskritiker, nicht nehmen, als Gastgeber einige warme Worte für Schröder zu sprechen.

Schröder, der am 7. April seinen 70. Geburtstag feiert und der sich mit dem Buch ein "Geburtstagsgeschenk an mich selbst" macht, fühlt sich erkennbar wohl mit dieser Provokation. Das Wolfslachen ist immer noch da, die blauen Augen unter schweren Lidern. Das Etikett vom "Genossen der Bosse" klebt sowieso unlösbar an ihm. Warum also sich dafür schämen? "Das hat mich nie gestört", behauptet Schröder. "Für die Arbeitnehmer ist es nicht schlecht, wenn es der Wirtschaft gut geht." Da sei es nur logisch, wenn man als Bundeskanzler "vernünftige Arbeitsbeziehungen zur Wirtschaft" unterhalte.

Allerdings nimmt er in dem Buch "Klare Worte", einem Frage- und-Antwort-Spiel mit dem Journalisten Georg Meck, auch kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, die Exzesse der Finanzindustrie beim Namen zu nennen. "Die Politik muss sich gegen das hochkonzentrierte Finanzkapital durchsetzen und die Entscheidungsgewalt zurückerobern", fordert der Altkanzler. "Da dürfen die Banker ruhig mal aufjaulen." Ob Deutsch-Banker Jain sich diese Passage dick unterstrichen hat?

Trotz seiner fast 70 Jahre hat Schröder nie die Rolle des "Elder Statesman" einnehmen können wie seine SPD-Vorgänger Helmut Schmidt oder Willy Brandt. Mit ein Grund: Seine Partei schmückt sich nicht mit ihm. Die Agenda 2010, das Markenzeichen von Schröders Kanzlerschaft, ist seiner Partei unangenehm wie ein Stein im Schuh. Das spielt es keine Rolle, dass alle Welt die deutsche Reformfähigkeit preist.

Die Distanz ist unübersehbar, auch wenn Martin Schulz, EU-Parlamentspräsident und Spitzenkandidat der Sozialdemokraten für die Europawahl, die Verdienste des Kanzlers Schröder aufzählt: Natürlich die Agendapolitik, aber auch die EU-Osterweiterung, die Einführung des Euro. Schulz zählt sich selbst zu den "Frogs", den "Friends of Gerhard Schröder". Glaubt man dem Ex-Kanzler, macht es ihm nichts aus, von den eigenen Genossen die kalte Schulter gezeigt zu bekommen: "Ich habe als Juso auch nicht zurückhaltend über Helmut Schmidt geurteilt. Warum soll es mir selbst jetzt besser gehen?"

Zugleich schwingt in der ironischen und distanzierten Art, in der Schröder über seine Partei spricht und schreibt, eine gewisse Kränkung mit: Die SPD, die die Welt immer besser machen wolle, und der dies wichtiger sei als die Macht. Oder die Demografie, die "sich durch Parteitagsbeschlüsse nicht ausbremsen" lasse. Die neue Rentenpolitik, da wird Schröder ernst, gehe "in die falsche Richtung": "Die jungen Leute werden das bezahlen müssen."

Selbstkritik ist Schröder kein Fest, da unterscheidet er sich nicht von anderen zurückblickenden Staatenlenkern. Sein fliegender Wechsel zum Pipeline-Unternehmen Northstream, der ihm viel Entrüstung einbrachte? "Manche Kritik, die sich auf die Schnelligkeit des Wechsels bezieht, kann ich auch verstehen", antwortet er lauwarm im Buch. Die Gasleitung aber sei "absolut sinnvoll und in unserem Interesse". Auch in Bezug auf die enge Beziehung zum russischen Präsidenten Wladimir Putin bevorzugt er die Offensive: Die diskriminierende Homosexuellen-Gesetze seien zwar ein "Fehler", aber ansonsten wolle der Kreml-Chef "eine funktionierende Demokratie und ein stabiles Staatswesen" - "das ist meine Überzeugung aus vielen Gesprächen mit ihm."

Andere Freunde sind ihm dagegen fremd geworden: Dass auch er vom US-Geheimdienst NSA abgehört wurde, ist für Schröder unverzeihlich. Damit bewiesen die USA "ein Maß an Misstrauen Freunden gegenüber, das ich für völlig ungerechtfertigt halte".

Gerhard Schröder: Klare Worte. Herder-Verlag, 238 Seite, 19,90 Euro.

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