Sportstadt Bonn Eine Umwidmung entzieht vielen die Geschäftsgrundlage

BONN · Die Bonner Vereine beklagen seit Längerem eine fehlende Wertschätzung durch die Politik. Nach der Hallen-Ankündigung stehen sie unter Schock

Als im August 2012 rund 5000 Bonner Vereinssportler bei strömendem Regen durch die Innenstadt zogen und gegen die ungleiche städtische Behandlung von Sport und Kultur demonstrierten, ahnte niemand, dass drei Jahre später den Hallensportarten mehr oder weniger der komplette Kahlschlag droht. Selbst auf dem Jahresempfang des Stadtsportbundes (SSB) vor wenigen Tagen nahmen es die 120 geladenen Gäste aus Sport und Politik noch relativ gelassen, als der SSB-Vorsitzende Michael Scharf zum wiederholten Male die „fehlende Wertschätzung des Sports in der Bonner Politik“ anmahnte.

Dort wurde auch öffentlich, dass der Kultur- und Sportdezernent Martin Schumacher „mal eben so im Dezember rund 70 000 Euro Sportfördermittel für das Beethoven Orchester umgewidmet hat“ und andererseits der gemeinnützige Kinder- und Jugendverein Telekom Baskets Bonn e.V. von der Stadt wie Profisport besteuert wird.

Die Stimmung in der Bonner Sportlandschaft war also mehr als angespannt, als am Montag die Stadt Bonn ihre Pläne bekannt gab, wie sie die Flüchtlingswelle über Bonn bewältigen will: mit der Schließung von 15 Sporthallen bis Juni. Dass die Stadt Bonn in den letzten vier Monaten alle anderen Möglichkeiten ernsthaft geprüft hat, glaubt SSB-Vorsitzender Scharf nicht. Es herrsche nun überall „räumlicher Bedarf“, auch für Jugendgruppen, „und wir haben in Bonn immerhin 20 Museen“, sagt Scharf. Doch weil die Sportler, bevor die Stadt gestern erstmals Räume aus dem kulturellen Bereich zu Trainingszwecken anbot, den Eindruck hatten, Museen seien in Bonn gänzlich unantastbar, war es offenbar nur noch ein kleiner Schritt, dass der Sportbund gestern öffentlich den Rücktritt Schumachers als Sportdezernent forderte.

„Dann sollen die eben mal drei Monate nicht Ping-Pong spielen“– solche Sätze höre er auch, sagt Bernd Seibert, Geschäftsführer des SSB. Das zeige, dass die „gesamte Bandbreite der Folgewirkungen von Sporthallen-Schließungen gar nicht gesehen wird“. Seibert zählt auf: Gesundheitssport, Herzsport, Freizeitsport, Spitzensport, Schulsport – „von der sozialen und integralen Bedeutung des Sports einmal ganz zu schweigen“. Es sei für den SSB unstrittig, dass der Sport seinen Beitrag zur Lösung des humanitären Notstands leiste, so Seibert, „aber nicht nur der Sport“.

Die Umwidmung einer Sporthalle in eine Flüchtlingsunterkunft entzieht jedem Verein die Geschäftsgrundlage. So entstehen auch spannende arbeitsrechtliche Fragen. Beispiel Erwin-Kranz-Halle in Beuel, Heimstatt des 1. BC Beuel und eines der großen Badminton-Leistungszentren in Deutschland. Es gibt zwei hauptamtliche Vollzeit-Trainer, zwei angestellte Reinigungskräfte und viele nebenberufliche Trainer mit Arbeitsverträgen. Wer trägt den wirtschaftlichen Schaden, wenn der „Arbeitsraum“, die Halle, nicht mehr zur Verfügung steht? Die Stadt? Der Bund mit Angela Merkel an der Spitze? Fragen, die gerade jeden Sportverein mit angestellten Trainern beschäftigen.

„Bonns Sport steht unter Schock“, sagt Baskets-Präsident Wolfgang Wiedlich, „und ich glaube, dass wir die gesamten Folgen heute noch nicht übersehen.“ Sein Club werde nun verstärkt angerufen, um die freien Kapazitäten im basketseigenen Telekom Dome samt Ausbildungszentrum zu prüfen. „Auch Schulen rufen an, aber wir haben nur eine Basketball-In-frastruktur. Da geht noch Bodenturnen und Gymnastik, aber Volleyball zum Beispiel nicht.“ (lf/lis)

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