Russland Drakonische Maßnahme

Moskau · In Russland entgeistern teilweise drakonische Antiterrogesetze außer Menschenrechtler auch religiöse Gemeinden und Mobilfunkkonzerne.

Man dürfe immer Befürchtungen äußern, beruhigte Kremlsprecher Dmitri Peskow gestern. „Aber es gibt noch keinen Grund für irgendwelche alarmistische Erklärungen.“

Am Vortag hatte Wladimir Putin die umstrittenen „Antiterror“-Gesetze unterschrieben, die 21 Strafrechtsänderungen umfassen. Und jetzt herrscht durchaus Alarmstimmung – bei Oppositionspolitern, aber auch bei religiösen Minderheiten und noch mehr in der Telekommunikationsbranche. „Ein schwarzer Tag für Russland“, twitterte der in Moskau exilierte US-Regimekritiker Edward Snowden. Das neues Recht verstoße gegen die Menschenrechte und den Gemeinsinn, bedeute aber auch eine 33 Milliarden Dollar schwere Steuer für die russische Internetbranche.

Künftig sind die Provider verpflichtet, Textmitteilungen, Gespräche, Bilder, Töne und Videos, die ihre Kunden ausgetauscht haben, aufzubewahren, mindestens ein halbes Jahr. Die nötige Infrastruktur müssen sie selbst bezahlen. Pjotr Lidow, PR-Chef des Mobilfunkkonzerns Megafon, sagte Radio Swoboda, das werde die Firma mit einem jährlichen Reingewinn von umgerechnet 704 Millionen Euro über 2,8 Milliarden Euro kosten.

Die Branche rechnet deshalb mit einer Verdreifachung der Preise für den Endverbraucher. Schon unkt die Wirtschaftszeitung Kommersant, die Fußball-WM 2018 gerate in Gefahr, weil die finanziell überlasteten Konzerne außerstande sein könnten, die von der FIFA vorgeschriebenen Mobilfunk- und Internetkapazitäten an den Spielstätten zu installieren.

Das Gesetzespaket sieht außerdem vor, schon 14-jährige Teilnehmer an Massenunruhen mit Gefängnis zu bestrafen. Wer künftig ihm bekannte Informationen über geplante Terrorakte oder Aufstände gegen den Staat den Behörden nicht mitteile, riskiert bis zu drei Jahren Haft. Wer versucht, andere in Massenunruhen hineinzuziehen, dem drohen zehn Jahre.

Und Missionare dürfen nur mit offiziellen Dokumenten ihrer Gemeinden predigen. Gruppengebete in Wohnhäusern sind weiter erlaubt, Spendensammlungen oder Verteilung religiöser Literatur dagegen nicht. „Jesus selbst hätte sich strafbar gemacht“, klagt ein Moskau Katholik gegenüber unserer Zeitung. Auch der Duma-Abgeordnete Alexander Nilow von der eigentliche kremltreuen LPDR befürchtet, künftig hänge die Religionsausübung vom guten Willen der Staatsorgane ab.

Befürworter der Antiterrormaßnahmen wie Antow Zwetkow von der Vereinigung Russischer Offiziere loben das Gesetzespaket als „vorbeugende Antwort auf die gegenwärtigen Herausforderungen“. Menschenrechtler hatten vergeblich protestiert, weil ein Teil der Novellen gegen die Verfassung verstießen.

„Orwells Roman ,1984' ist offenbar der neue Leitfaden unserer Regierung“, sagt der Politologe Korgonjuk. „Zu Sowjetzeiten sollte das Strafgesetz das Wohl der Arbeiterklasse schützen, jetzt gewährleistet es freie Willkür für den Staatsapparat.“ Auch andere Regimekritiker verweisen auf Parallelen zur Sowjetzeit. „Wenn im Regime zu viel Zensur und Unfreiheit herrscht“, sagt der Schriftsteller Wladimir Wojnowitsch, „wenn zu viele Leute für ihre Meinung bestraft werden oder dafür, dass sie auf die Straße gehen, dann wird das System unflexibel und brüchig.“

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