Umstrittene Personalentscheidungen Donald Tusk verteidigt von der Leyen

Straßburg/Brüssel · EU Ratspräsident Donald Tusk verteidigt die umstrittenen Personalentscheidungen des Gipfels. Das Parlament fordert, das Spitzenkandidaten-Modell fest zu verankern.

Donald Tusk gehört sicherlich nicht zu den größten rhetorischen Talenten in der derzeitigen Führungsriege der EU. Aber als der scheidende Ratspräsident am gestrigen Donnerstag die umstrittenen Personalentscheidungen der Staats- und Regierungschefs vom Anfang dieser Woche verteidigt, gelingt ihm ein kleines Kunststück: Er diszipliniert das neu gewählte Europäische Parlament, ohne es zu attackieren. Ausgerechnet jene Abgeordnetenkammer, die noch am Tag zuvor vor Wut und Enttäuschung schier implodiert war, weil sich der EU-Gipfel über den Beschluss der Volksvertreter, ausschließlich einen der Spitzenkandidaten zum nächsten Kommissionspräsidenten wählen zu wollen, hinweggesetzt hatte.

„Einige sagen, das Parlament repräsentiert die europäische Demokratie“, begann Tusk, „weil seine Mitglieder direkt gewählt sind. Für andere ist dies der Europäische Rat (wie der EU-Gipfel offiziell heißt, d. Red.), weil die Staats- und Regierungschefs demokratisch gewählt wurden.“ Aber dieser Streit sei „sinnlos“. Tusk: „Denn wir müssen uns gegenseitig respektieren, weil beide Institutionen demokratisch sind.“ Und dann leitet der 62-jährige Konservative aus Polen, dessen Amtszeit Ende Oktober nach fünf Jahren ausläuft, geschickt auf die „Errungenschaften“ über: „Zum ersten Mal in der Geschichte der EU haben wir zwei Frauen und zwei Männer ausgewählt, die die wichtigsten EU-Institutionen leiten sollen. Das ist ein positiver Wandel.“ Europa beweise damit, dass es nicht nur über die Gleichberechtigung rede, sondern sie herstelle.

Während der Beratungen habe er persönlich in ständigem Kontakt mit den beiden Grünen-Fraktionschefs, Ska Keller und Philippe Lamberts, gestanden, weil sie bei der Besetzung der Topjobs nicht berücksichtigt werden konnten. „Ich ermutige alle, die Grünen einzubeziehen“, streichelt er die Seele der Partei und setzt dann noch hinzu: „Ich werde der nominierten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen noch heute persönlich sagen, dass sie daran denken soll.“

Dabei sparten die EU-Parlamentarier nicht mit Kritik und Rügen an der Ignoranz der Staats- und Regierungschefs. „Wir dürfen uns nicht von den Bürgern entfremden“, mahnte der spanische Christdemokrat Esteban González Pons, stellvertretender Chef der EVP-Fraktion. An diesem Morgen hatte er es übernommen, dem Ratspräsidenten zu antworten, damit es dem eigentlichen Fraktionsvorsitzenden, Manfred Weber (CSU), erspart blieb, über einen politischen Beschluss zu sprechen, bei dem er selbst fallengelassen wurde. „Die Bürger müssen die Person wählen können, die dann auch an der Spitze der Kommission steht“, sagte González Pons weiter. Dieser Appell wiederholte sich, quer durch alle Reden.

Zur selben Zeit absolvierte Ursula von der Leyen ihren Antrittsbesuch in Brüssel bei Kommissionschef Jean-Claude Juncker, dem Mann, dem sie nachfolgen könnte, falls die 751 Abgeordneten sie am 16. Juli wählen. 376 Stimmen braucht sie – und sie hat nur einen Versuch.

Was für eine breite Unterstützung notwendig ist, machten die Fraktionen des europäischen Abgeordnetenhauses am Donnerstag klar: Ausgerechnet die Kandidatin, deren Benennung als Schritt zum Ende des Spitzenkandidaten-Modells gewertet wurde, soll diese Form der Direktwahl vertraglich festschreiben. „Die Verfahren der Ernennungen müssen demokratisiert werden“, drückte es der Chef der neuen liberalen Fraktion „renewEU“, Dacian Ciolos, aus.

Außerdem wollen die Volksvertreter hören, wie von der Leyen den „Wandel“ in wichtigen Politikfeldern sicherstellen kann, forderte die Chefin der sozialdemokratischen Fraktion Iratxe García. Das betreffe nicht nur den Klimawandel und das soziale Gesicht der Gemeinschaft, sondern auch „Demokratie und Rechtstaatlichkeit“. Die Sozialdemokraten haben nicht verwunden, dass ausgerechnet die vier Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn, denen Defizite gegen die Grundwerte der EU vorgeworfen werden, ihren Kandidaten Timmermans verhindert haben.

In den verbleibenden Tagen bis zur Wahl soll von der Leyen sich den Fraktionen stellen. „Niemand weiß, wofür sie europolitisch steht“, sagte der Sprecher der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament, Sven Giegold.

Seine Partei hat bereits beschlossen, die Anhörung live im Internet zu übertragen. Das EU-Abgeordnetenhaus hat mit der Bewerberin aus Deutschland zwar noch längst keinen Frieden geschlossen, aber die konstruktiven Töne waren an diesem Donnerstag unüberhörbar.

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