Ausbruch des Mörders Detlef W. Die Lücke im System

Der Tag nach dem Ausbruch des Mörders Detlef W. aus der Rheinbacher Justizvollzugsanstalt ist der Tag der Fragen. Es sind keine angenehmen Fragen, die Anstaltsleiter Heinz-Jürgen Binnenbruck, 59, gestellt werden.

Er versteht und akzeptiert sie, kann sie aber nicht beantworten. Er verweist auf interne Ermittlungen. Nicht nur die Medien stellen diese Fragen, auch die Polizei und das Justizministerium in Düsseldorf. Wie konnte das passieren? Wie konnte einem wegen Mordes einsitzenden Häftling die Flucht auf dem Anhänger eines Traktors in einer Gitterbox voller Holzabfälle gelingen? Die Flucht erinnert an den Krimi "Die schwarze Natter" von 1947, in dem Humphrey Bogart sich als Häftling in einer Abfalltonne versteckt und so unentdeckt auf dem Müllwagen aus dem Gefängnis in San Quentin entkommt.

Auch gestern hatte die Bonner Polizei noch keine Spur von Witte. Wie Polizeisprecher Robert Scholten sagte, wurde der 43-Jährige per internationalem Haftbefehl europaweit zur Fahndung ausgeschrieben. Dabei legen die Ermittler ihr Hauptaugenmerk auf mögliche Anlaufpunkte und Kontaktadressen in Köln, wo der Flüchtige früher lebte. Die Kripo geht auch der Frage nach, ob Witte vor oder während seiner Flucht Unterstützung genossen hat. Scholten vorsichtig: "Es sieht danach aus, als habe es einen gewissen Planungsgrad gegeben." 15 Hinweise aus der Bevölkerung gingen bis gestern bei der Polizei ein. Angesichts der breiten Berichterstattung in den Medien für Scholten eine "übersichtliche Zahl". Leider seien keine konkreten Hinweise dabei gewesen. Der Flüchtige sei von niemanden gesehen worden.

Am Dienstag hatte die Polizei zahlreiche Autofahrer kontrolliert und Geschäftsinhaber befragt. Die Anstaltskluft hatte Detlef W. in einem Container an der Industriestraße abgelegt. Bleibt die Frage, wer ihm die Zivilkleidung beschaffte, in der er die Flucht fortsetzte.

Binnenbruck leitet die JVA Rheinbach seit 2004. Es ist die erste Flucht in seiner Amtszeit. Die in den vergangenen 20 Jahren Stück für Stück modernisierte Anstalt gilt als eine der sichersten in NRW. Umso betroffener ist der erfahrene Jurist. "Wir fragen uns natürlich alle, wie ein verurteilter Mörder entweichen konnte", sagt er. "Wir hoffen, dass niemand zu Schaden kommt." Die Sache beschäftige ihn sehr, er könne kaum schlafen. Das Justizministerium prüfe nun, ob Fehler gemacht worden seien, "auch Fehler, die mir zuzurechnen sind", und ob Mitgefangene oder gar Bedienstete bei der Flucht geholfen hätten.

20 bis 30 Fahrzeuge passieren täglich die Schleuse der JVA. Es handelt sich um Gefangenentransporte, Wäschewagen sowie Lieferverkehr für die JVA-eigenen Betriebe wie Schreinerei oder Buchbinderei. Aber auch externe Firmenwagen, etwa von Handwerkern, die etwas reparieren, fahren ein und aus. "Es herrscht ein reger Betrieb bei uns", so Binnenbruck. Die Kontrolle an der Schleuse erfolge per Augenschein, mit Spiegeln und bei Großfahrzeugen auch mit einem Herzschlagdetektor, der bei in der Ladung versteckten Menschen anschlägt. Dessen Einsatz sei bei kleinen, offenen Fahrzeugen aber keine Pflicht. Binnenbruck: "Es kann sein, dass jemand nicht sorgfältig genug kontrolliert hat, quasi ein Fall von Betriebsblindheit."

JVA RHEINBACH Ausbrüche, Revolte und Geiselnahmen in den letzten Jahrzehnten

Im Rheinbacher Gefängnis hat es in der Vergangenheit häufiger spektakuläre Ausbrüche und Vorfälle gegeben. So flüchteten im Jahr 2000 gleich fünf Insassen. Sie waren über eine Luke auf das Dach der Schlosserei geklettert und so entkommen, konnten aber später wieder gefasst werden. Die Luke war zur Wartung von Sonnenkollektoren angebracht worden.

Zwischen 1983 und 1993 gab es sieben Ausbrüche. Aufsehen erregte die Flucht des Polizistenmörders Alfred Lecki. Gleich zweimal entkam er dem Rheinbacher Vollzug - im Oktober 1983 während eines Ausflugs in der Bonner Innenstadt und im September 1986 während einer Behandlung in der Bonner Uniklinik. Der damalige Chef der JVA Rheinbach, Lothar Breitkreuz, wurde infolgedessen seines Amts enthoben. Im September 1989 nahm ein 30-jähriger Häftling einen Gefängnisbeamten als Geisel und bedrohte ihn mit einem Messer. Die Geiselnahme konnte durch Spezialkräfte unblutig beendet werden.

Im Oktober 1989 nahmen drei Ausbrecher ein Rheinbacher Ehepaar als Geisel. Dramatische Tage erlebte Rheinbach im Oktober 1990, als 142 Gefangene im Zuge einer Gefängnisrevolte eine Amnestie forderten (Foto) und teils vier Tage auf dem Gefängnisdach ausharrten. Die letzte Flucht liegt bereits zwölf Jahre zurück. 2003 war es einem 23-jährigen Insassen gelungen, während eines Arztbesuchs in Bonn zu fliehen, obwohl er gefesselt war. Er wurde wenig später wieder gefasst.

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