"All days for future" Das sind die Zukunftsziele der Grünen

Berlin · Die Grünen tragen die Zukunftsziele für ein neues Grundsatzprogramm zusammen – „all days for future“ mit Recht auf Wohnen und ein bedingungsloses Grundeinkommen.

 Die Bundesvorsitzenden der Grünen beim Konvent in Berlin: Robert Habeck und Annalena Baerbock.

Die Bundesvorsitzenden der Grünen beim Konvent in Berlin: Robert Habeck und Annalena Baerbock.

Foto: dpa

Die Hummeln sind los. Ein paar Schmetterlinge auch. „Hummeln“ nennen sie an Tag zwei des Grünen-Konvents für ein neues Grundsatzprogramm die „Superbestäuber“. Sie nehmen auf und tragen weiter. Am Ende wollen die Grünen ihren Honig haben: ein neues Grundsatzprogramm. „Schmetterlinge“ flattern dagegen wie „Flaneure“ durch die insgesamt 40 Projektgruppen des Konvents. Sie nennen es „Open space“, offener Raum. Aber jeder der Flaneure oder Superbestäuber soll an diesem Tag etwas beitragen zu den neuen Prinzipien künftiger grüner Politik. Es gilt ein Gesetz: „Wenn ich an einem Ort bin, an dem ich weder etwas lerne noch etwas beitragen kann, ehre ich die Gruppe mit meiner Abwesenheit“, hatte Moderatorin Sanna Schondelmayer den „Hummeln“ und „Schmetterlingen“ noch mit in den Tag gegeben. Der Politische Bundesgeschäftsführer Michael Kellner hatte die Grünen – absolute Ausnahme – für einige Stunden sich selbst überlassen. „Ich gebe das jetzt aus der Hand. Ihr bestimmt, was heute passiert“, sagt Kellner an eine Partei gerichtet, in der die Basis bekanntlich Boss ist.

Die Hummeln unter den 500 Grünen und Nicht-Grünen dieses nach außen bewusst offenen Konvents schaffen so pro Stunde 20 „Anliegengruppen“, spitzt Schondelmayer zu. Und die Grünen haben viele, sehr viele Anliegen, wenn es um ein neues Grundsatzprogramm geht. So gehen sie tatsächlich auf den Boden und schreiben auf Knien auf, was ihnen für die politische Zukunft wichtig ist: Recht auf Wohnen, bedingungsloses Grundeinkommen, Geschlechtergerechtigkeit, eine Föderale Europäische Republik (FER), säkulare Demokratie, Tierrechte oder auch Anliegen wie: „Die Grünen und der kleine Mann“. Leiser Protest im Saal. „Ja, natürlich, ….und die kleine Frau“, formuliert Heribert Heyden vom Grünen-Kreisverband Potsdam-Mittelmark sein Anliegen politisch korrekt. Alle sind wieder zufrieden. Später wird einer in Heydens „Anliegengruppe“ sagen, wie die Grünen, die gemeinhin als Partei besser verdienender, gut gebildeter Großstädter gelten, auch den kleinen Mann respektive die kleine Frau erreichen können: „Kurze Sätze, klare Sprache, keine Funktionärsreden.“

Im Herbst 2020 soll die Schlussfassung stehen

Geschätzte „18.000 Jahre Lebenserfahrung“ tragen in einer Halle zusammen, was den Teilnehmern am Zwischenbericht des neuen Grundsatzprogrammes fehlt oder nicht gefällt. Im Herbst 2020 soll die Schlussfassung stehen und dann beschlossen werden. Die beiden Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck wollen die Partei damit gezielt für neue Bündnisse öffnen. Bündnispartei sind die Grünen schon vom Namen her: Bündnis 90/Die Grünen. Werner Schulz, einst Mitbegründer des ostdeutschen Bündnis 90, hatte sie darin bestärkt. „Wir müssen offen sein für Kooperationen und Sachbündnisse.“ Insofern setze man jetzt „mit Bündnisgrün ein neues Label“. Um die Zukunft der Grünen gehe es „nicht nur freitags“, so Schulz in Anspielung auf die laufenden Schülerproteste „Fridays für Future“. „Sondern all days for future.“ Jeden Tag um die Zukunft kämpfen.

Lukas Beckmann, einer der Gründerväter der Grünen, sagt, die Öffnung seiner Partei für neue Bündnisse sei wichtig. Denn: „Parteien sind ein Mittel zum Zweck. Es geht um die Gesellschaft.“ Die Grünen hätten mehrere Phasen hinter sich, „in denen wir uns viel zu sehr um uns selbst gekümmert haben“. Deswegen sei es gut, dass es jetzt zwei Vorsitzende gebe, die die Partei für eine große Breite der Gesellschaft öffnen wollen. Auch Fraktionsvize Katja Dörner, Bundestagsabgeordnete aus Bonn, begrüßt den neuen Bündniskurs: „Es ist genau richtig, dass wir in die Breite der Gesellschaft ausstrahlen.“ Das neue Grundsatzprogramm müsse Fragen beantworten, die sich 2002, als die Grünen letztmals ihre politischen Leitplanken neu montierten, noch gar nicht gestellt hätten, etwa, wie sich die Digitalisierung auf die Welt der Arbeit auswirke, so Dörner. Omid Nouripour, Außenpolitiker der Grünen-Bundestagsfraktion, ist gerade mit Jetlag zurück von einer Brasilien-Reise. Verheerend, diese neue rechte Regierung von Jair Bolsonaro, erzählt Nouripour. Kriminalität wie nie, Morddrohungen gegen Andersdenkende, Brandrodung des Amazonas-Regenwaldes, dunkle Bitcoin-Geschäfte der Mafia. Und auch dies: Desinformation, neudeutsch Fake News.

Was tun gegen Desinformation?

Nouripour hat ein Anliegen formuliert: Was tun gegen Desinformation? Nouripour sagt: „Desinformation zerstört Demokratie.“ In Frankreich glaube ein Drittel der Bevölkerung, Elsass/Lothringen würden als Folge des erneuerten deutsch-französischen Freundschaftsvertrages – der „Aachener Vertrag“ – wieder Deutschland zugeschlagen. In seiner Anliegengruppe sprechen sie sich für professionellen Journalismus aus. „Wir brauchen die Fähigkeit, zu erkennen, was tatsächlich belastbare Informationen sind.“ Wie sich das Grundsatzprogramm 2020 wohl vom letzten Programm aus 2002 unterscheiden werde? Nouripour: „Drei Viertel der Themen, die wir gerade an die Wand gehängt haben, waren 2002 noch kein Thema.“ Wie heißt es auf Seite 13 des Zwischenberichts: „Wir leben in einer Welt des immer schnelleren Wandels. Vieles geschieht gleichzeitig, vieles ist widersprüchlich, vieles scheint möglich.“

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