Europäische Kommission am Rhein Die Europa-Erklärer in Bonn haben eine lange Tradition

Bonn · Die Vertretung der EU am Rhein hat eine lange Geschichte. Vor der Wahl sind die Mitarbeiter im Dauereinsatz. Ein Besuch.

 Mitten in Bonn, aber trotzdem leicht zu übersehen: Die EU-Vertretung am Bertha-von-Suttner-Platz in Bonn.

Mitten in Bonn, aber trotzdem leicht zu übersehen: Die EU-Vertretung am Bertha-von-Suttner-Platz in Bonn.

Foto: Benjamin Westhoff

Wer Europa in Bonn sucht, muss genau hinschauen. Ein denkbar nüchterner fünfstöckiger Zweckbau am Bertha-von-Suttner-Platz, Hausnummer 2-4. Zentraler geht es kaum in der City. Aber Flair oder Wiedererkennungswert? Die Passanten müssen die Augen schon weit heben, um die auf dem Dach wehende blaue Fahne mit den gelben Sternen zu sehen. An der Fassade ist ein Schild mit dem Logo der Europäischen Kommission befestigt. Von einer Residenz kann man bei der Vertretung der Europäischen Union in Bonn schwerlich sprechen.

Dennoch sind Büroleiter Jochen Pöttgen und seine sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für ein Gebiet verantwortlich, das mehr Einwohner hat als die EU-Staaten Belgien und Niederlande zusammen: „Wir betreuen von hier aus eine Region mit rund 30 Millionen Menschen“, betont Pöttgen nicht ohne Stolz – neben Nordrhein-Westfalen die benachbarten Bundesländer Rheinland-Pfalz und Hessen sowie das Saarland.

In allen EU-Staaten unterhält die Brüsseler Kommission Verbindungsbüros, in Deutschland mit dem Berliner Hauptstadtbüro sowie der Vertretung in München gleich drei. Die Brüsseler Vertretung am Rhein hat allerdings eine besonders lange Geschichte: Sie war das erste „Presseverbindungsbüro“ in einem Mitgliedsland jener Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), aus der einmal die Europäische Gemeinschaft (EG) und später die Europäische Union hervorgehen sollte.

Einstige Feinde finden zusammen

1951. Der Zweite Weltkrieg ist zwar seit sechs Jahren vorbei, aber überall in Mitteleuropa sind die Spuren des verheerenden Konflikts noch sichtbar und spürbar, in den Städten, in den Köpfen. Eine Gruppe von visionären Politikern mit dem Kanzler der jungen Bundesrepublik, Konrad Adenauer, dem französischen Außenminister Robert Schuman sowie dem französischen Unternehmer Jean Monnet an der Spitze, blickt nach vorne. Über die wirtschaftliche Zusammenarbeit ausgerechnet auf den Feldern der kriegswichtigen Produkte Kohle und Stahl sollen die einstigen Feinde zusammenfinden. Die inneren Widerstände sind erheblich. Trotzdem gründen die Bundesrepublik, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande die EGKS, griffiger „Montanunion“ genannt.

Die beteiligten Staaten gründen eine „Hohe Kommission“, die die neue Gemeinschaft vertreten soll. Doch wenn die Spitzen dieser Kommission in ihrer Luxemburger Zentrale über Ziele und Zahlen der neuartigen Staatengemeinschaft reden wollen, hört kaum jemand zu. Im Herzogtum sitzen kaum Journalisten, die Anreise aus Rom, Paris oder Bonn ist zeitraubend und mühsam. Also entscheidet sich die „Hohe Kommission“ – die Vorläuferin der Europäischen Kommission – auf die Vertreter von Zeitungen und Rundfunksendern in den Mitgliedsstaaten zuzugehen.

Für den jungen deutschen Teilstaat heißt das: Bonn. Am 1. März 1954 wird in der „politischen Fußgängerzone“ der Stadt am Rhein ein Pressebüro der Behörde eingerichtet. Dem Journalisten Karl Mühlenbach, der die Vertretung in den ersten Monaten aufbaut, stehen für seine Arbeit ein 50-Quadratmeter-Büro und eine Sekretärin zu. Mühlenbach veranstaltet in Bonn und Düsseldorf Pressekonferenzen, sucht Kontakt zu Politikern, Journalisten und Organisationen – zum Beispiel zur Bundeszentrale für Heimatdienst, der Vorläuferorganisation der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).

65 Jahre später. März 2019. Die Europawahlen stehen vor der Tür. Für Jochen Pöttgen und seine Mitarbeiter arbeitsreiche Monate. „Jeden Tag ist einer von uns unterwegs“, sagt Pöttgen. Vorträge, Bürgerdiskussion, Besuche bei Betrieben, Projektwochen und Schulen, Journalistenseminare. „Wir erklären, kommunizieren, netzwerken, hören aber auch zu“, erläutert der Büroleiter. Seit 2016 vertritt der gebürtige Kölner und im Reiterkorps Jan von Werth aktive Karnevalist Pöttgen die EU-Kommission am Rhein. „Mir fällt der Zugang zu den Menschen leicht, weil ich ja von hier komme“, sagt Pöttgen.

1999 ist die Zukunft der Vertretung ungewiss

Dass er in seiner rheinischen Heimat arbeiten kann, hat er unter anderem dem ehemaligen NRW-Ministerpräsidenten Peer Steinbrück zu verdanken. Denn 1999, als Bundesministerien und Kanzleramt nach Berlin abgewandert sind, ist die Zukunft der Bonner EU-Vertretung ungewiss. Auch die Brüsseler Kommission hat am neuen Regierungssitz ein Büro aufgemacht. Zwar sind am Standort Bonn noch einige Mitarbeiter übriggeblieben, aber der Posten des Büroleiters bleibt unbesetzt. Erst 2004 gelingt es, die Position mit Barbara Gessler neu zu besetzen. „Hilfreich ist in diesem Zusammenhang sicherlich der Einsatz des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Peer Steinbrück sowohl bei Kommissionspräsident Romano Prodi als auch beim deutschen Kommissar Günter Verheugen“, schreibt Sven Carnel zum 60. Geburtstag der Bonner EU-Repräsentanz.

Einer, der in jenen Jahren für das Büro arbeitete, stand jüngst in einem ganz anderen Zusammenhang im öffentlichen Scheinwerferlicht: der EU-Abgeordnete Axel Voss (CDU), Verantwortlicher des EU-Parlaments für das umstrittene neue Urheberrechtsgesetz im Internet. Der junge Jurist war „EU-Bürgerberater“ in Bonn, half Bürgern bei der Beantwortung grenzüberschreitender Rechtsfragen. Dass die Bundesstadt nach wie vor ein guter Standort für die EU-Vertretung ist, begründet der Vorsitzende der Mittelrhein-CDU mit den nach wie vor in der Stadt ansässigen Bundesministerien und Bundesbehörden sowie mit den UN-Organisationen. „Ich würde mir mehr Manpower und mehr Geld für die Vertretung wünschen“, sagt Voss. „Für eine so große Region ist das zu wenig, die Mannschaft arbeitet am Rande des Möglichen.“

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