Gipfeltreffen zum Brexit Die EU erhöht den Druck auf Großbritannien

Brüssel · Sollte das Unterhaus den Austrittsvertrag nicht Anfang nächster Woche billigen, werde ein ungeregelter Brexit nicht mehr zu verhindern sein. Das beschlossen die 27 Staats- und Regierungschefs auf einem Gipfeltreffen.

Was wäre, wenn…“ – fast jede Frage, die die wartenden Journalisten den vorbeieilenden EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag stellten, begann mit den gleichen Worten. „Was wäre, wenn die Briten dem Austrittsvertrag nicht mehr zustimmen?“, lautete die meistgestellte Frage vor dem Beginn des zweitägigen EU-Gipfeltreffens am Donnerstag in Brüssel. „Ich will mich damit jetzt nicht beschäftigen“, antwortete Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). „Fragen Sie mich nicht, was passieren könnte. Wir müssen von Tag zu Tag entscheiden.“

Tatsächlich blieb die 27er-Union nach diesem ersten Tag des Spitzentreffens genauso klug wie zuvor zurück. Die britische Premierministerin Theresa May habe hinter verschlossenen Türen ihre Zwickmühle zwischen dem eigenen Parlament und der EU deutlich gemacht und gebeten, den Brexit um drei Monate zu verschieben. Die Reaktionen, das berichteten Augenzeugen, seien „gelinde gesagt unfreundlich“ gewesen. „Was soll das denn bringen?“, wurde May entgegengehalten. Und „Wofür denn?“, habe ein Regierungschef in die Runde gerufen. Es fiel den 27 Staatenlenkern immer schwerer, ihren aufgestauten Ärger über die britische Amtskollegin zurückzuhalten.

Die EU wird weiter warten

„Ich komme mir vor, wie beim ‚Warten auf Godot‘“, zitierte der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel den Titel des Theaterstücks von Samuel Beckett. „Wir warten und warten, aber es passiert nichts“. Die Diplomaten der Regierungsdelegationen, deren Namen stets nie genannt werden sollen, wurden da schon deutlicher. „Die Briten erpressen uns doch“, sagte einer. Und selbst Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker räumte ein, er habe „bisher nicht gewusst, wie lange sein Geduldsfaden“ sei.

Die EU wird weiter warten. Am Abend deutete sich an, dass eine Verschiebung des Austritts grundsätzlich möglich sei – vorausgesetzt das bereits ausgehandelte Austrittsabkommen und die beigefügte Straßburger Erklärung, in der der Backstop bis Ende 2020 befristet wird, erhält in den ersten Tagen der kommenden Woche die nötige Zustimmung im britischen Parlament. In dem Fall könne der Brexit noch ein paar Wochen verschoben werden, um ihn technisch vorzubereiten.

Scheitert das Papier aber zum dritten Mal, wird es wohl am Mittwoch oder Donnerstag kommender Woche ein erneutes Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs geben – und am 29. März den lange befürchteten „No Deal“. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron war in diesem Punkt unerbittlich. Auf die Frage eines Korrespondenten, ob ein weiteres Nein des britischen Parlaments einen ungeregelten Austritt bedeuten werde, sagte er kurz und knapp: „Ganz bestimmt.“

"Wir sind auf alles vorbereitet"

Wenn es so etwas wie ein Warnsignal in Richtung London aus Brüssel gegeben hat, dann bestand es in der längst abhandengekommenen Furcht vor einem solchen Desaster. „Wir sind auf alles vorbereitet“, betonte der niederländische Premier Mark Rutte – übrigens gleichlautend mit vielen Amtskollegen. Der „No Deal“ hat seinen Schrecken verloren, die EU-27 fühlt sich stabil und stark genug, ein solches Beben zu überstehen. Sowohl die Brüsseler Kommission wie auch die Mitgliedstaaten hätten „ihre Hausaufgaben gemacht“, sagte ein deutscher Diplomat. Ein anderer fügte hinzu: „Wir sind sicher besser auf das, was dann kommen würde, vorbereitet, als die Briten.“

Trotzdem versprachen alle in die Mikrofone, „bis zur letzten Stunde“ (Merkel) für ein Abkommen zu arbeiten. Zwar seien die „Spielräume sehr begrenzt“, wie die Kanzlerin betonte. Aber man werde tun, was nötig ist – bis auf eines: Das ausgehandelte Austrittsabkommen wird auf keinen Fall noch einmal aufgeschnürt.

Was die EU-Chefs vor allem ärgert: Dies ist der elfte Gipfel der Staatenlenker, der sich mit dem Brexit beschäftigen musste. Dabei gab es dieses Mal auch andere wichtige Themen, die bisher liegen blieben – kurz vor dem EU-China-Gipfel beispielsweise die Beziehungen zu Peking. Aber der Brexit überlagerte wieder einmal alles – und noch immer weiß niemand, was wann passiert.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Kleine Nachhilfe
Kleine Nachhilfe
Kommentar zu Regeln für Präsidenten und Kanzler a.D.Kleine Nachhilfe