„Massenhaft unbezahlte Überstunden“ DGB-Vize äußert sich zu Erfassung der Arbeitszeiten

Bonn · Der Europäische Gerichtshof (EuGH) verpflichtet Arbeitgeber zur exakten Erfassung der Arbeitszeiten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hält diese Vorgabe zum Schutz der Arbeitnehmer von unbezahlter Mehrarbeit für wichtig, wie die stellvertretende Vorsitzende des DGB, Annelie Buntenbach, erläutert.

Was bedeutet das Urteil für die Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Deutschland?

Annelie Buntenbach: Das Gericht hat der Flatrate-Arbeit und Dauererreichbarkeit einen Riegel vorgeschoben. Das ist eine richtig gute Nachricht für die Arbeitnehmer in Deutschland, insbesondere in den Branchen, in denen bislang ohne Arbeitszeiterfassung und orts- und zeitflexibel gearbeitet wird. Flexibles Arbeiten ist ja heute eher die Regel, nicht die Ausnahme. Der Gesetzgeber muss eine entsprechende Verpflichtung einführen und die Arbeitgeber müssen sich jetzt bewegen.

In modernen Dienstleistungsberufen verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben zunehmend. Lässt sich Arbeitszeit überhaupt noch in allen Berufen exakt messen?

Buntenbach: Gerade mit der modernen Technik – Smartphones und Apps – lässt sich das natürlich ziemlich einfach und mit ein paar Klicks umsetzen. Die Zeiten der Stechuhr am Werkstor sind in vielen Branchen vorbei. Wichtig ist natürlich, dass dabei hohe Datenschutzstandards eingehalten werden. Es geht nicht darum, die Arbeitnehmer zu überwachen oder in ihrer Flexibilität einzuschränken, ganz im Gegenteil.

Können Arbeitnehmer durch eine präzise Erfassung ihrer Arbeitszeit auf einen besseren Überstundenausgleich oder regelgetreue Ruhezeiten hoffen?

Buntenbach: Genau das muss jetzt oberste Priorität haben. Gerade da, wo Arbeitgeber eine Regelung zur Arbeitszeiterfassung nicht für notwendig halten, die Interessenvertretung fehlt oder sie eine entsprechende Vereinbarung nicht durchsetzen kann, bleiben die Rechte der Beschäftigten viel zu oft auf der Strecke. Dadurch entstehen in Deutschland massenhaft unbezahlte Überstunden und es wird oft erwartet, dass die Arbeitnehmer auch außerhalb ihrer Arbeitszeit erreichbar sind. Das ist nicht nur Lohn- und Zeitdiebstahl, sondern gefährdet vor allem auch die Gesundheit der Arbeitnehmer. Die haben aber ein Recht auf sichere Arbeit, die nicht krank macht: Also auch auf Abschalten und Feierabend.

Reichen die hiesigen Gesetze aus, um eine exakte Arbeitszeiterfassung zu gewährleisten?

Buntenbach: Die bisherige Gesetzeslage ist in Deutschland nicht ausreichend und muss entsprechend des Urteils geändert werden. Bislang gibt es nur die Pflicht, die über die acht Stunden am Tag hinausgehende Arbeitszeit zu erfassen. Das ist aber komplett unpraktikabel – wie will man denn die neunte Stunde Arbeit erfassen, wenn man davor nicht dokumentiert hat? Da muss die Bundesregierung jetzt ran.

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