Finanzen Zwei Wege aus dem Schuldensumpf

Marienheide/Monheim · Ein schwaches Wirtschaftswachstum hat NRW über die Jahre zu einem Nehmerland im Finanzausgleich gemacht. Trotzdem hält die Verschuldung des Landeshaushalts an. Ganz unten müssen die Kommunen büßen: Sie fordern mehr Ausgleich für übertragene Aufgaben.

Arbeiten dort, wo andere Urlaub machen – mit diesem Spruch wirbt Marienheide im Oberbergischen Kreis um Neubürger. Bei der Anfahrt über Brücken, die über Stauseen führen, durch Täler mit grünen Wiesen und Buchenwälder versteht man, warum. Zu der verstreuten Gemeinde gehört auch eine Burg, Schloss Gimborn, das mit seinen Türmchen und der Natursteinfassade perfekt in die Urlaubsidylle passt.

Doch um Idylle geht es nicht. Wenn Kämmerer Simon Woywod über den Gemeindehaushalt spricht, schwingt Besorgnis in seiner Stimme mit. Zwar kann er erstmals in diesem Jahr verkünden, dass dank des Stärkungspakts der Landesregierung für die Kommunen Marienheide eine schwarze Null schreibt. Und das soll auch im kommenden Jahr so bleiben. Gleichzeitig drückt ein Schuldenberg von 60 Millionen Euro die Gemeinde, das sind pro Kopf der knapp 14.000 Einwohner etwa 4285 Euro. Ein sicheres Konzept, wie die Entschuldung am besten klappt, gibt es nicht.

Wichtigste Einnahmequelle ist die Gewerbesteuer

Perspektivenwechsel: 45 Kilometer Luftlinie von Marienheide entfernt liegt Monheim am Rhein. Über die A4 gen Westen fährt man 72 Kilometer. Monheim hat es innerhalb weniger Jahre geschafft, aus einem Minus von 120 Millionen Euro (bei 43.000 Einwohnern) ein Plus von 140 Millionen Euro zu machen, ganz ohne Zauberei. Im Haushaltsjahr 2016 verzeichnet die Stadt einen Überschuss von sieben Millionen Euro.

Was die Bürger selbst das „Wunder von Monheim“ nennen, ist einer kräftigen Gewerbesteuernachzahlung und daraufhin einer kräftigen Senkung des Gewerbesteuerhebesatzes zu verdanken. Seitdem haben sich rund 350 Unternehmen neu in Monheim niedergelassen. Sehr zum Ärger der umliegenden Städte wie Oberhausen, das etwa den Verwaltungssitz des Chemieunternehmens Oxea an Monheim verliert.

Für Marienheide wäre der Wegzug einer Firma wie des Werkzeugherstellers August Rüggeberg geradezu eine Katastrophe. August Rüggeberg und der Kranhersteller Abus sind die größten Gewerbesteuerzahler in Marienheide. Und die Gewerbesteuer ist nun einmal die wichtigste Einnahmequelle der Kommunen, deren Hebesatz sie selbst festlegen können. Heute hat Marienheide einen Hebesatz von 490, Monheim hingegen von 260. Das ist der mit Abstand niedrigste Satz in NRW. Den höchsten hat Oberhausen mit 550 Punkten.

„Die in Monheim machen das ganz toll“, sagt Kämmerer Woywod. Aber nacheifern will er den Stadtverantwortlichen dort nicht, als Kassenwart der Gemeinde kann er eine niedrige Gewerbesteuer schlicht nicht verantworten. Fast sieben Millionen Euro nehmen die Marienheider aus der Gewerbesteuer ein, dazu kommen drei Millionen Euro aus der Grundsteuer. Zusammen macht das ein Drittel des Gesamthaushalts von 30 Millionen Euro aus.

Stagnation hat verheerende Konsequenzen

Ökonomen machen die Landesregierung für die finanzielle Schieflage der Kommunen verantwortlich, und zwar wegen einer unzureichenden Wirtschaftspolitik. Seit der Jahrtausendwende ist die Konjunktur in NRW ausgesprochen schwach, im vergangenen Jahr gab es sogar ein Nullwachstum. Die Stagnation hat verheerende Konsequenzen, gerade auch, weil ein Land mit fast 18 Millionen Einwohnern die gesamtdeutsche Konjunktur bremst.

So hat der Wirtschaftswissenschaftler Paul Welfens von der Universität Wuppertal berechnet, dass das Land bei einem moderaten Wachstum von 1,5 Prozent im vergangenen Jahr eine Milliarde Euro mehr Steuereinnahmen gehabt hätte, die Kommunen weitere 100 Millionen zusätzlich und der Bund sogar 1,2 Milliarden Euro mehr. Defizite sieht Welfens etwa bei der Innovationspolitik; im Internet- und Kommunikationssektor sei die Gründerquote nur gering, und die mangelnde Finanzierung im Straßenbau bremse ebenfalls die Wirtschaftsentwicklung, so Welfens. Laut dem Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen hatte NRW 2013 die geringste Investitionsquote aller deutschen Länder.

Das schwächste Glied in der Kette sind die Kommunen. Das hatte die rot-grüne Regierung in Düsseldorf bei ihrem Amtsantritt 2010 richtig erkannt und den kommunalen Stärkungspakt aufgelegt – 350 Millionen Euro fließen seitdem jährlich in die am stärksten verschuldeten Gemeinden. Die meisten können in diesem Jahr auf einen ausgeglichenen Haushalt verweisen. Zu ihnen gehört auch Marienheide.

Die Auflagen, um die finanzielle Spritze des Landes zu erhalten, sind hoch. Marienheide hat ein Schwimmbad geschlossen und drastisch beim Personal gespart. Nun wird es in den kommenden Jahren darum gehen, die ansässigen Betriebe zu halten und neue anzuziehen. Die Region ist von mittelständischer Industrie und Familienunternehmen geprägt, das produzierende Gewerbe ist stark vertreten. „Wir haben das Problem, dass wir kaum neue Flächen für Gewerbeansiedlungen ausweisen können“, erklärt Kämmerer Woywod.

Marienheide will Monheim nicht nacheifern

Deshalb hat Marienheide mit der Industrie- und Handelskammer Köln ein Flächenkonzept ausgearbeitet, nachdem die Bezirksregierung aus Naturschutzgründen keine Gewerbegebiete mehr genehmigte. Dabei nutze die Wirtschaft gerade einmal 1,7 Prozent der Flächen in Oberberg, wie Michael Sallmann von der dortigen IHK-Geschäftsstelle erklärt. Außerdem versucht man, Dienstleister nach Marienheide zu holen, und kämpft gegen den Leerstand in der Innenstadt. „Der Ortskern soll mit neuen Einzelhandelsgeschäften belebt werden“, sagt Woywod.

Ohne einen gemeinsamen Entschuldungstopf für die notleidenden Kommunen werden diese auf keinen grünen Zweig kommen, meinen Finanzexperten. Schließlich haben Bund und Länder diesen immer wieder neue Aufgaben übertragen, von der Jugendhilfe über Hartz IV bis zu der Unterbringung und Integration der Flüchtlinge. So hat Woywod vor allem einen Wunsch: Dass künftig alle Extra-Verpflichtungen auch voll von Bund und Land finanziert werden.

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