Kommentar zum Zustand der Demokratie Zwei schicksalhafte Jahrestage

Zwei Jubiläen bieten 2019 die Gelegenheit, über den Zustand der Demokratie in Deutschland nachzudenken: Die Weimarer Reichsverfassung wird 100 und das Grundgesetz feiert seinen 70. Geburtstag.

 Reichstag in Berlin.

Reichstag in Berlin.

Foto: picture alliance / Kay Nietfeld/

Wie steht es um die Demokratie im Lande? Zwei Verfassungsjubiläen bieten 2019 Gelegenheit, darüber nachzudenken. Die Weimarer Reichsverfassung wird 100 und das Grundgesetz feiert seinen 70. Geburtstag. Letzteres ist für Bonn ein ganz besonderes Ereignis, denn der demokratische Neubeginn nach 1945 ist mit der Stadt verbunden. Hier fielen die Beschlüsse. Vor 70 Jahren bestimmte der Parlamentarische Rat Bonn zum Regierungssitz; ein einschneidendes Ereignis der jüngeren Stadtgeschichte. Die Weimarer und die Bonner Verfassung sind eng miteinander verknüpft. Die eine ist ohne die andere nicht denkbar, im Guten wie im Schlechten. Weimars Scheitern war Voraussetzung für den Erfolg des Bonner Entwurfs.

Es gibt ein paar Verbindungslinien, die sich bis in die Gegenwart verlängern lassen. Die Parteien gehören dazu. Dass sie vielfach mit Verachtung gesehen wurden, gehört zu den Belastungen der ersten Demokratie. Es ist seit ein paar Jahren erneut in Mode gekommen, sie für einen Teil des Problems zu halten. Genauso wie die Politiker, die – so der Vorwurf, nichts Ordentliches gelernt haben. Beide Kritikpunkte haben Gründe. Aber weder damals noch heute hat jemand eine Alternative. Parteien spielen in unserer Demokratie eine wichtige Rolle. Man muss sie daher nicht mögen. Aber Geringschätzung ist gefährlich.

Und was geschieht, wenn Dilettanten regieren, ist derzeit in Italien oder auch den Vereinigten Staaten gut zu beobachten.

Wenn Parteien es versäumen, ihren demokratischen Auftrag auszufüllen, erleben sie, was gerade der SPD widerfährt. Wo früher Sozialdemokraten für demokratisch legitimierte Entscheidungen und Bindung vieler Menschen an Staat und Parlamente sorgten, bleiben desorientierte Wähler und instabile Mehrheiten zurück.

Doch genau an dieser Stelle muss sich eine Demokratie bewähren. Sie ist auf den Wandel und den Wechsel angelegt. Veränderungen belegen die Vitalität. Das gilt für die Parteien selbst, aber auch für das große Ganze. Neue Parteien können aufsteigen. Alte Parteien enden. Es mag für die Anhänger bitter sein. Aber es ist bisweilen unvermeidbar und für die Demokratie kein Drama. Mit den neuen Parteien kommen neue Politiker in die Parlamente. Unsere Demokratie bietet dafür die Grundlage.Das Grundgesetz begrenzt Macht und sichert damit die Freiheit aller. Es ist die Konsequenz aus den Defiziten der Weimarer Verfassung, die den vielen Krisen der dreissiger Jahre nicht gewachsen war und versagte.

Im doppelten Gedenkjahr ist das Thema Demokratie deshalb nicht erledigt. Die deutsche Gesellschaft wandelt sich. Die Digitalisierung verändert das Zusammenleben. Die Politiker, die Parteien und die Parlamente werden sich dem stellen müssen. Es ist daher ausdrücklich erwünscht, über das Grundgesetz nachzudenken.

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