Bundestagswahlen im Rhein-Sieg-Kreis Wie wirkten Wahlplakate auf den Bürger?

RHEIN-SIEG-KREIS · In knapp drei Wochen wird gewählt. Auch die Kandidaten im Wahlkreis 97 haben sich in Stellung und ihre Gesichter auf die Straße gebracht - in Form von Wahlplakaten. Wir haben Experten und Erstwähler nach ihrer Meinung zu den Werbetafeln gefragt.

 Die Wahlplakate von Lisa Winkelmeier-Becker, Sebastian Hartmann, Jürgen Peter, Robert Wendt, Martin Zieroth und Alexander Neu (im Uhrzeigersinn) wurden unter die Lupe genommen. Montage: Arndt

Die Wahlplakate von Lisa Winkelmeier-Becker, Sebastian Hartmann, Jürgen Peter, Robert Wendt, Martin Zieroth und Alexander Neu (im Uhrzeigersinn) wurden unter die Lupe genommen. Montage: Arndt

Susanne Del Din, 45, Geschäftsführerin der Siegburger Agentur für Unternehmenskommunikation del din design:

Lisa Winkelmeier-Becker, CDU: Insgesamt wirkt die CDU durch den Farbwechsel vom seriösen, konservativen Blau zu Orange und durch die neue Schrift freundlicher und lockerer - andererseits aber fehlt das Standing, viele Plakate wirken vielleicht zu weich und sind leicht mit anderen Branchen zu verwechseln. Zum Foto der CDU-Kandidatin lässt sich sagen, dass es wenig nah wirkt. Ein Gegenbeispiel sind die Plakate mit Kanzlerin Angela Merkel: Ihr Foto ist natürlich nachbearbeitet, wirkt aber sehr natürlich, und Merkel sieht aus wie sie selbst.

Sebastian Hartmann, SPD: Seit die Sozialdemokraten vom Signalrot zum Purpurrot gewechselt sind, wirkt ihr Marketing geschmeidiger, freundlicher. Die bundesweite Kampagne wäre, hätte es nicht den großen SPD-Fauxpas des "Merkel-Bashings" gegeben, sehr gut gelungen. Der Kandidat Sebastian Hartmann kommt sympathisch rüber und zeigt, im Gegensatz zu vielen übermäßig "gephotoshopten" (Bildbearbeitungsprogramm, Anm. d. Red.) Politikern, auch Mimik mit einem freundlichen Lachen, das natürlich wirkt. Allerdings ist sein Erscheinungsbild etwas zu zugeknöpft für die SPD, die eigentlich legerer rüberkommen möchte. Mit dem konservativen Outfit spricht er vielleicht sogar eher die FDP-Zielgruppe an.

Jürgen Peter, FDP: Das Plakat von Jürgen Peter hebt sich aus dem bundesweiten Corporate Design (Unternehmens- bzw. Partei-Erscheinungsbild, Anm. d. Red.) der FDP hervor. Während die Kandidaten überregional aalglatt und fast synthetisch aussehen, wirkt er lockerer. Durch den bildlichen Hintergrund, der wohl seinen Arbeitsplatz zeigen soll, spricht er die typische Zielgruppe der Liberalen, etwa Unternehmer, an. Die Krawatte und der Grundaufbau des Plakats entsprechen dem bundesweiten Vorgehen der FDP, die diesmal sehr vorsichtig unterwegs ist, nach dem Motto: Bloß nicht zu sehr auffallen.

Robert Wendt, Grüne: Die Grünen sind in diesem Wahljahr in Sachen Grafikdesign und Bildsprache die mutigste Partei: Sie verzichten bewusst darauf, ihren Parteinamen groß zu drucken, sondern beschränken sich auf die Farbe Grün und das Blumenlogo - das Konzept geht auf, denn es weiß trotzdem jeder, um wen es geht und wofür die Partei steht. Die persönliche Ansprache ("Und du?") soll den Betrachter auf eine Ebene mit den Kandidaten setzen. Das gelingt beim Plakat des jungen Robert Wendt gut. Wie er da lässig steht, natürlich mit Fahrrad, ist er der echte "Jung von der Sieg", der Mann, den ich auch im Supermarkt treffe. Hier war kein Visagist am Werk, was das Augenhöhen-Prinzip zusätzlich unterstützt.

Alexander S. Neu, Die Linke: Die Linke setzt mit ihrer buchstäblich plakativen Kampagne vor allem auf Aussagen statt auf Fotos. Die typo-lastigen Plakate erinnern an Boulevard-Zeitungen und brüllen den Betrachter förmlich an, etwa mit dem Slogan: "Genug gelabert". Das ist aus Grafikdesigner-Sicht nachvollziehbar, könnte aber beim Bürger eher langweilig, einfallslos und auch aggressiv ankommen. Wenn doch Personen abgebildet sind, wirken sie oft gelangweilt und fast unfreundlich, wie auch Kandidat Alexander Neu.

Martin Zieroth, Piratenpartei: Was bei den Piraten besonders auffällt: Genau wie sie ständig interne Streitigkeiten ausfechten, finden sie auch marketingtechnisch keine klare Linie. Die Plakate sehen bei jeder Wahl anders aus, es wird keine Marke gebildet. Das Plakat von Martin Zieroth wirkt, ebenso wie die bundesweite Kampagne, "handmade", wenig professionell. Das Foto ist zwar freundlich und lässt den Kandidaten "wie du und ich" wirken. Es ist aber schlecht freigestellt, bearbeitet und auch gedruckt, was dem Kandidaten ungewollt einen leicht "üsseligen" Touch gibt.

Jessica Küttner, 19, Abiturientin und Erstwählerin:

Lisa Winkelmeier-Becker, CDU: Die Kandidatin wirkt auf mich freundlich, wobei ich ihr Lächeln recht verkrampft findet. Mit den Bäumen im Hintergrund soll das Bild wahrscheinlich aufgelockert werden, die Natur soll betont werden. Ich finde das ganze Plakat allerdings sehr nichtssagend - ich persönlich weiß nicht, was die CDU damit ausdrücken möchte.

Sebastian Hartmann, SPD: Als ich das Plakat gesehen habe, war das Erste, was ich dachte: Photoshop! Es kann auch sein, dass der Kandidat Puder im Gesicht trägt, auf jeden Fall ist das nach meinem Geschmack ein bisschen zu viel des Guten. Trotzdem wirkt er insgesamt freundlich und natürlich. Die warmen Farben des Plakats sprechen mich an, insgesamt macht es einen guten Eindruck.

Jürgen Peter, FDP: Für mich irgendwie typisch FDP, dieses Plakat. Der Kandidat wirkt so hochgestochen und unnahbar, so gar nicht "nah am Bürger". Das kalte Blau verstärkt diesen Eindruck noch. Und über die Biene-Maja-Krawatte kann man auch streiten.

Robert Wendt, Grüne: Das Plakat spricht eher junge Leute an. Auf mich wirkt es positiv, auch weil ich mit der Frage "Und du?" miteinbezogen und nach meiner Meinung gefragt werde. Die Grünen vermitteln so den Eindruck, sie interessierten sich für mich. Der Kandidat wirkt sehr natürlich, er ist in Alltagskleidung und im Freien unterwegs. Er kommt nicht so abgehoben rüber wie andere.

Alexander S. Neu, Die Linke: Das Plakat ist sehr schlicht aufgebaut, nur das Gesicht, weißer Hintergrund, kein Slogan. Der Blick des Kandidaten strahlt für mich Kompromisslosigkeit aus, außerdem wirkt er unfreundlich und irgendwie eingebildet.

Martin Zieroth, Piratenpartei: Farbe und Design des Piraten-Plakats zielen, wie bei den Grünen, auf junge Leute ab. Der Kandidat wirkt auf mich nett und gar nicht wie ein Politiker. Im Gegensatz zu den anderen Parteien haben die Piraten viel mehr Text auf ihren Wahlplakaten - so viel, dass man gar nicht alles lesen kann, wenn man Auto dran vorbeifährt.

Heinz Lingen, 74, Inhaber und Leiter der Rhein-Sieg-Akademie (RSAK) für realistische Bildende Kunst und Design in Hennef:

Der Kunstpädagoge, Grafiker und Illustrator Heinz Lingen lehnt es ab, einzeln auf jeden Kandidaten einzugehen. Ihm erschienen die Plakate eintönig und fast gleichgeschaltet, begründet der Experte seine Entscheidung - und lässt an den Kampagnen der Parteien kein gutes Haar.

"Alle vorliegenden Wahlplakate zeigen, wie untereinander abgesprochen, mehr oder weniger sympathische Porträts fast identischer Posen in platter Frontalaufnahme auf teilweise parteirelevanter Farbe der Hintergründe und mit zum großen Teil textlich dekorativ wirkungsvollen Allgemeinplatzsprüchen", lautet Lingens vernichtendes Fazit.

Unentschlossene oder Erstwähler würden damit nicht angesprochen, vielmehr setzten die Parteien offenbar voraus, dass ihre Zielgruppe ohnehin "ihre" Partei wählten. Die "starren, ausdruckslosen, stereotypen Gesichter" könnten "Wahlmüde" sogar erst recht "in Tiefschlaf versetzen", urteilt der RSAK-Leiter. "Bedauerlich, diese Investitionen hätten woanders, zum Beispiel ins Schulwesen, besser gepasst."

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