Skandal um Franco A. Wie von der Leyen mit den Soldaten umgeht

Berlin · Ihr Umgang mit dem Fall des vermutlich rechtsextremen Offiziers Franco A. legt auch das System der Ministerin Ursula von der Leyen offen. Sie bringt schnell Distanz zwischen sich und das Problem. Jetzt musste sie die Vorgesetzten des Oberleutnants rehabilitieren – geräuschlos.

Am 30. Dezember 2017, 14.12 Uhr, kommt der Freispruch. Per Einschreiben. Zugestellt an die Privatadresse in Rheinbach. Das Verteidigungsministerium lässt Generalmajor Werner Weisenburger, der zu diesem Zeitpunkt noch einen Tag Chef des Streitkräftesamtes in Bonn ist, bevor er ordentlich in den Ruhestand geht, zwei Dinge wissen. Erstens: „Die Ermittlungen gegen Sie stelle ich ein“, teilt ihm Generalinspekteur Volker Wieker mit.

Zweitens: „Eine schuldhafte Verletzung dienstlicher Pflichten konnte nicht festgestellt werden.“ Damit ist der Fall erledigt – für Wieker und seine Ministerin. Doch die Monate zuvor waren für Weisenburger alles andere als Routine. Vielmehr ein Nervenkrieg in einer Sache, die in der Truppe wie auch sonst im Land viel Staub aufgewirbelt hat und die bis heute nicht vollends geklärt ist.

Es geht um den Fall des Oberleutnants Franco A, der im Verdacht steht, aus einer rechtsextremen Gesinnung heraus und unter der Falschidentität als syrischer Bürgerkriegsflüchtling mit einem Komplizen Anschläge auf (linke) Politiker in Deutschland geplant zu haben.

Von der Leyens System: Vorwärtsverteidigung

Ein heikler Fall auch für Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die im Mai vergangenen Jahres flugs den Standort Straßburg-Illkirch besuchte, wo der terrorverdächtige Franco A. bei der deutsch-französischen Brigade stationiert war. Laut Bundesanwaltschaft hortete A. vier Schusswaffen, mehr als 1000 Patronen Munition sowie mehr als 50 Sprengkörper für die geplanten Anschläge – teilweise soll er sie aus Bundeswehrbeständen gestohlen haben.

Wie häufig in solchen Fällen, versucht die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt (IBuK) möglichst schnell Abstand zwischen sich und das Problem zu bringen. Ein Skandal darf alles sein – nur nicht zur Affäre für von der Leyen werden. Vorwärtsverteidigung. So war es bei Problemen mit dem Sturmgewehr G36. So ist es auch im Fall Franco A.

Die CDU-Politikerin attestiert der Truppe kurzerhand – reichlich pauschal – ein Führungs- und Haltungsproblem. Eine Aussage, die bis heute viele Soldatinnen und Soldaten nicht vergessen haben und die sie bald danach relativieren wird: „Das bedauere ich.“ Die Soldatinnen und Soldaten leisteten einen „unverzichtbaren Dienst für unser Land. Dafür gebührt ihnen Dank und Anerkennung.“ Sie wünschte, sie hätte diese Sätze in dem Interview über den Rechtsextremismus vorweg gesagt. „Es tut mir leid, dass ich es nicht getan habe.“ Sätze, die auch Weisenburger und sein Rechtsberater Stephan Hedrich von der Ministerin gern gehört hätten. Eine Stilfrage.

Keine Disziplinarmaßnahme für Franco A.

Denn: Im Mai vergangenen Jahres hatte von der Leyen ein Disziplinarverfahren gegen Weisenburger, damals Chef des Streitkräfteamtes, sowie gegen dessen Rechtsberater Hedrich, heute Direktor am Kommando Streitkräftebasis in Bonn, einleiten lassen. Weisenburger war bei von der Leyen ins Visier geraten, weil er zu dem Zeitpunkt Vorgesetzter des Oberleutnants Franco A. war, als dieser 2013 seine extrem fragwürdige Masterarbeit als deutscher Teilnehmer eines Offizierslehrgangs an der französischen Militärakademie in Saint Cyr abgab.

Weisenburger sagt über die Masterarbeit des Franco A. „Das war eine Nullleistung. Das war Mist.“ Doch sonst sei Franco A. „ein Mustersoldat“ gewesen – jedenfalls bis zum damaligen Zeitpunkt. Zweitbester von 180 Teilnehmern der französischen Offiziersausbildung.

Dass bei ihm wie auch bei Hedrich nicht alle Alarmglocken läuteten, als französische Ausbilder über völkisch-nationalistische Passagen in der Masterarbeit (Titel: „Politischer Wandel und Subversionsstrategie“) stolperten und deswegen auch ihn als damaligen Vorgesetzten von Franco A. einschalteten, begründet Weisenburger so: Hedrich und er seien davon ausgegangen, dass jemand, der Berufssoldat der Bundeswehr werden wolle, „nicht so naiv sein kann“, eine eigene rechtsextreme Gesinnung auch noch in einer Masterarbeit quasi zu dokumentieren.

Deswegen habe man Franco A. auch nur „schriftlich belehrt“ und von einer Disziplinarmaßnahme abgesehen. Im Falle einer Disziplinarmaßnahme wäre A. der bevorstehende Einstieg in eine Karriere als Berufssoldat verbaut gewesen.

Hedrich habe Franco A. seinerzeit auch nach Bonn einbestellt, um sich ein Bild zu machen. Ergebnis der Anhörung vom 27. Januar 2014: Franco A. habe in dem Gespräch angegeben, er habe sich bei der Masterarbeit schlicht verhoben, sei unter Zeitdruck geraten und habe, weil die Arbeit in Französisch verfasst war, auch mit sprachlichen Problemen zu kämpfen gehabt. Hedrich hat noch einen anderen Verdacht: überbordende Hybris beim Master-Kandidaten Franco A. „Er wollte steil aus der Sonne kommen. Er wollte einen Knüller liefern.“

Das ist ihm gewissermaßen auch gelungen. Ein unabhängiger Historiker, den Hedrich noch einschaltet, kommt schnell zu dem Ergebnis: „Bei dem Text handelt es sich nach Art und Inhalt nachweislich nicht um eine akademische Qualifikationsarbeit, sondern um einen radikalnationalistischen, rassistischen Appell, den der Verfasser mit einigem Aufwand auf eine pseudo-wissenschaftliche Art zu unterfüttern versucht.“ Das allerdings ist mehr als nur „Mist“, wie Weisenburger die Arbeit des Franco A. eingestuft hatte. Ob Franco A. tatsächlich ein Rechtsextremer sei, kann Weisenburger bis heute nicht sicher einschätzen. Auch Hedrich kann nicht mit Gewissheit sagen, ob A. nur wissenschaftlich schlampig gearbeitet hat oder ob bei dessen Arbeit auch eigene Auffassung durchschimmerte.

Bundeswehr als moderner Arbeitgeber

Hedrich jedenfalls kommt bei seiner juristischen Würdigung zu dem Ergebnis, dass ein Verstoß gegen die Treuepflicht als Soldat Oberleutnant A. nicht nachzuweisen sei, dieser zwar „strafwürdig den bösen Anschein einer solchen (rechtsextremen) Gesinnung erweckt“ habe, diese Verfehlung aber zu gering gewesen sei, um ihm „unverhältnismäßig, weil existenzvernichtend“ die Karriere als Berufssoldat zu verbauen. Damit allerdings hätte von der Leyen dann eben doch einen wunden Punkt, die Frage der Haltung, getroffen. Den Haftbefehl gegen Franco A. jedenfalls hob der Bundesgerichtshof im vergangenen November auf. Aus dem bisherigen Ermittlungsergebnis lasse sich der dringende Tatverdacht einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nicht herleiten. A. müsse aus der Untersuchungshaft entlassen werden.

Von der Leyen, die ja angetreten war, die Bundeswehr zu einem der modernsten Arbeitgeber im Lande umzubauen, reagiert bei politischen Krisen, die an ihrem Image kratzen können, immer nach dem Muster: sofort einen Blitzableiter suchen. Das G36, das Standardgewehr der Bundeswehr, das bei großer Hitze angeblich um die Ecke schießt, erklärt sie zum Auslaufmodell, weiß aber, dass es Jahre dauert, bis ein Ersatz am Markt verfügbar sein wird. Die Bundeswehr schießt also weiter damit. Aber von der Leyen hat Handeln demonstriert. Im Falle von Franco A. lenkt sie die Blitze auf Weisenburger und Hedrich. Weisenburger steht im Feuer. Auch Hedrich muss Nachteile befürchten. Auch er wird am Ende rehabilitiert. Dass sich die Anschuldigungen schließlich als juristisch substanzlos herausstellen, erfährt eine breite Öffentlichkeit nicht.

Noch im Mai – vor einer Generalstagung in Berlin, zu der Weisenburger als Generalmajor eingeladen war – lässt ihn von der Leyen kurzfristig ausladen. Entlang der Befehlskette. Staatssekretär Gerd Hoofe setzt im Auftrag der Ministerin Weisenburgers direkten Vorgesetzten, den Inspekteur der Streitkräftebasis, Generalleutnant Martin Schelleis, in Kenntnis, der wiederum Weisenburger die Botschaft der Ministerin überbringt. „Ihre Anwesenheit ist nicht erwünscht“, lässt die IBuK ausrichten.

Auch den Abschied von der Truppe, nach 44 Jahren als Berufssoldat, bei dem von der Leyen Weisenburger hätte rehabilitieren können, überlässt sie einem anderen. Den Abschied mit Ehren übernimmt ihr Parlamentarischer Staatssekretär, Markus Grübel (CDU). Weisenburger will nicht nachtreten: „Mir ist nichts passiert.“ Pause. „Außer, dass ich in der Öffentlichkeit negativ dargestellt worden bin.“ In einem letztlich politischen Verfahren, wie er findet. Dass weder Generalinspekteur Wieker noch die Ministerin mit ihm gesprochen hätten – eine Stilfrage. Die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt ohne Worte. Auch dies eine Frage der Haltung.

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