Europawahl 2014 Wer kann mit wem?

BRÜSSEL · Martin Schulz hat mit einem solchen Ergebnis gerechnet: eine Mehrheit für die Konservativen, dahinter die Sozialdemokraten. So würde, das war ihm klar, er nicht zum Präsidenten der nächsten Kommission werden können.

Deshalb habe es hinter den Kulissen schon seit Wochen Gespräche mit Grünen und Liberalen gegeben, um die christdemokratische Macht in Brüssel zu beenden, erzählen Eingeweihte. Dennoch sagt der SPD-Spitzenkandidat noch am Wahlabend tapfer: "Wir haben eine gute Chance, stärkste Fraktion im europäischen Parlament zu werden."

Doch da laufen bereits die Vorhersagen aus den Mitgliedstaaten ein, die einen ganz anderen Trend belegen: In Frankreich wurden die Sozialisten von Staatspräsident François Hollande erneut abgestraft. Die griechischen Wähler pulverisierten die sozialdemokratische Pasok-Partei und schickten sie mit etwas mehr als acht Prozent aufs Abstellgleis. Stattdessen stellten sie sich hinter den linken Euro-Gegner Alexis Tsirpas.

Österreich, Finnland, Zypern - die ersten Staaten, aus denen Ergebnisse eintreffen, sind fest in konservativer Hand. "Noch ist nichts sicher", heißt es in den Reihen der Europäischen Volkspartei, der Dachorganisation der Konservativen, "aber man kann doch ernsthaft davon ausgehen, dass Jean-Claude Juncker das Rennen um den Chefsessel der Kommission gemacht hat."

Europa hat gewählt. Erst um 23 Uhr durften die Wahlurnen in den meisten Mitgliedstaaten geöffnet werden, bis zum heutigen Morgen werde es dauern, bis man einen Überblick habe, sagen die Experten in Brüssel, wo sich das EU-Spitzenpersonal versammelt hat. Erste Rechnungen kursieren aber schon deutlich früher: Demnach haben die Konservativen etwa 44 Sitze (künftig etwa 230) verloren, die Sozialdemokraten aber auch etwa zwei (194). Der bisherige Abstand ist spürbar zusammengeschmolzen, eine Wachablösung aber sieht anders aus.

Die haben wohl auch die Rechten nicht geschafft. Obwohl ihre Erfolge dennoch beachtlich sind. Dem französischen Front National gelingt es sogar, zu Hause die Nummer eins zu werden. Gleiches schaffen die Gesinnungsgenossen in Dänemark, in Finnland holen sie 13, in Großbritannien offenbar 22 Prozent.

Die österreichische FPÖ landet in ihrer Heimat auf Platz drei. In den Niederlanden aber liegt der Rechtspopulist Geert Wilders weit abgeschlagen. Ob daraus wirklich ein Bündnis wird, ist offen. Die Parteien seien zu unterschiedlich und nationalistisch, das widerspreche einer Koalition mit anderen in Europa, versucht man sich in Brüssel zu trösten.

Nun beginnt das große Sortieren, wer mit wem ein Bündnis eingehen könnte. Denn ohne starke Fraktion, für die im Parlament mindestens 25 Sitze nötig sind, "geht ein Abgeordneter unter", wie es in Brüssel mehrfach betont wird. AfD-Chef Bernd Lucke hat sich bereits die europäischen Reformer, eine kleinere, konservative Splittergruppe, als politische Heimat für seine sechs Partei-Vertreter ausgesucht.

Die übrigen sechs deutschen Mandatsträger von kleinen Gruppierungen müssen sich noch umgucken. Erst am 1. Juli kommt das Plenum zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Dann steht fest, wer wie stark ist. Und wer Schulz oder Juncker wirklich unterstützen könnte.

Am Dienstagabend wollen die Staats- und Regierungschefs erst einmal beraten, welche Konsequenzen sie aus dem EU-Wahlergebnis ziehen wollen. Man werde sich da aber noch nicht auf einen Namen festlegen, betonen Diplomaten im Vorfeld. Schließlich habe man noch viel Zeit, bis Kommissionspräsident José Manuel Barroso Ende Oktober aus dem Amt scheidet - und seine 27 Kommissarinnen und Kommissare auch.

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