CDU und FDP einigen sich auf Koalitionsvertrag Was Schwarz und Gelb in NRW planen

Düsseldorf · In nur drei Wochen haben sich CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Das sind die zentralen Punkte.

 Partner in den Koalitionsverhandlungen, aber nicht in der künftigen Regierung: Die Landeschefs von FDP und CDU, Christian Lindner (links) und Armin Laschet. Lindner zieht es in den Bundestag.

Partner in den Koalitionsverhandlungen, aber nicht in der künftigen Regierung: Die Landeschefs von FDP und CDU, Christian Lindner (links) und Armin Laschet. Lindner zieht es in den Bundestag.

Foto: dpa

Sonntagsöffnung im Handel: Künftig sollen Geschäfte in Innenstädten an acht statt bisher vier Sonntagen im Jahr öffnen. Damit soll der Handel der Onlinekonkurrenz besser Paroli bieten können. Bei Kirchen und Gewerkschaften stößt der Plan auf wenig Gegenliebe: Verdi kritisiert die Pläne als familienfeindlich und unsozial.

Klimaschutz/Energie: Den Klimaschutzplan, der eine Verringerung der CO2-Emissionen zum Ziel hat, wollen CDU und FDP abschaffen. Zudem planen sie Einschnitte beim Ausbau der Windkraft. Der Mindestabstand zu Siedlungen soll bei 1500 Metern liegen. Damit verringern sich die für Anlagen zur Verfügung stehenden Flächen um 80 Prozent. Kritik kommt von Wirtschaftsforschern: "Die Pläne sind erstaunlich rückwärtsgewandt, insbesondere die Beschränkung der Windkraft. Es wirkt, als ob sich die neue Landesregierung der Braunkohle und dem Atomzeitalter verpflichtet fühlt", sagt Gustav A. Horn, wissenschaftlicher Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK).

Finanzierung der Kommunen: Rot-Grün hatte finanzstärkere Kommunen dazu verpflichtet, mittels Kommunalsoli einen Ausgleich für schwächere Gemeinden zu zahlen. Schwarz-Gelb will dieses Instrument kippen. FDP-Chef Christian Lindner beteuert, keine Kommune werde künftig schlechter gestellt. Entlastet werden sollen die Kommunen beim Umgang mit Flüchtlingen ohne Bleibeperspektive. Sie sollen möglichst in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes bleiben.

Gewerbe- und Grunderwerbsteuer: Der jetzige Hebesatz soll gedeckelt werden, um die NRW-Kommunen als Wirtschaftsstandorte attraktiver zu machen. Bei der Grunderwerbsteuer sollen Familien entlastet werden. Über eine Bundesratsinitiative will Schwarz-Gelb einen Freibetrag von 250 000 Euro pro Person durchsetzen, für Kinder eine zusätzliche Summe.

Verkehr: Mit einer Sechs-Tage-Woche auf Baustellen, einem landesweit einheitlichen, digitalen Ticketsystem für den Nahverkehr und der Einführung eines Azubi-Tickets wollen CDU und FDP die Staus bekämpfen.

Polizei: Künftig sollen 2300 Polizeianwärter pro Jahr eingestellt werden. Bislang waren es 2000. Damit werden die Ausbildungskapazitäten ausgeschöpft. Noch-Innenminister Ralf Jäger (SPD) hatte dasselbe Ziel angekündigt. Zudem soll die Polizei entlastet werden: So will Schwarz-Gelb an beamteten Verwaltungsassistenten festhalten. Die von Rot-Grün geschaffenen 350 Stellen werden entfristet. Künftig sollen 500 pro Jahr hinzukommen. Die Polizei soll auch von Bagatellaufgaben entlastet werden. Beispiel: Die so genannte "Verkehrsüberwachung ohne Anhaltevorgang" soll von Kommunen übernommen werden können - also Geschwindigkeitskontrollen, bei denen die Fahrer nicht aus dem Verkehr gewunken werden, sondern das Knöllchen per Post zugeschickt bekommen. Die Polizeilaufbahn soll auch für Realschüler offenstehen.

Schleierfahndung: Die verdachtsunabhängige Kontrolle durch Polizeistreifen vor allem in Grenznähe wird kommen, aber nicht Schleierfahndung heißen. Weil dieser Begriff für die Bürgerrechtspartei FDP ein Reizwort ist, wird er im Vertrag wohl vermieden. CDU-Generalsekretär Bodo Löttgen sprach öffentlich stattdessen von "strategischer Fahndung". Der Unterschied ist marginal: Voraussetzung soll auch nur ein vager Anlassbezug sein, etwa ein neues Lagebild zur Einbruchskriminalität. Im Zweifel reiche auch "die Erfahrung des kontrollierenden Polizisten", so Löttgen.

Videoüberwachung: Die filmische Beobachtung öffentlicher Plätze wird ausgeweitet. Anders als bisher darf sie nicht mehr nur an Kriminalitätsschwerpunkten eingesetzt werden. Eine flächendeckende Überwachung wird es nicht geben.

Bandenkriminalität: Es soll eine "Null-Toleranz-Strategie" gegen Kriminelle geben. Auch kleinere Rechtsverstöße sollen konsequent geahndet werden, damit so genannte "No-Go-Areas" mit sich wechselseitig aufschaukelnden Rechtsbrüchen gar nicht erst entstehen.

Justiz: Gefängnisse, Gerichte und Staatsanwaltschaften bekommen mehr Personal. Ziel ist, Straftäter schneller mit den Folgen ihres Handelns zu konfrontieren. Die Abschiebehaftplätze werden ausgebaut. Gleichzeitig werden die Bürgerrechte gestärkt: Jeder soll künftig individuell Verfassungsbeschwerde einlegen können.

Turbo-Abitur: CDU und FDP planen die weitgehende Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren. Die Gymnasien dürfen auch weiter das "Turbo-Abitur" nach acht Jahren anbieten, müssen dazu aber einen noch nicht definierten Verwaltungsvorgang auslösen. Der Philologenverband, der viele Gymnasiallehrer vertritt, begrüßt G9. "Das ist eine politisch kluge Lösung, und wenn man sie behutsam umsetzt, hat sie das Potenzial, die Debatte endlich zu beenden", sagt Landeschef Peter Silbernagel.

Inklusion: Sie soll langsamer umgesetzt werden. Der Restbestand an Förderschulen soll mindestens so lange erhalten bleiben, bis die Regelschulen ausreichend auf die Aufnahme von behinderten Kindern vorbereitet sind. Für die Landesvorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, Dorothea Schäfer, keine Lösung: "Der Schließungsstopp könnte sich als Bumerang erweisen." Wenn kleine Förderschulen weitermachen dürften, müssten auch Sonderpädagogen von den Regelschulen abgezogen werden. Auch die Eltern behinderter Kinder sind unzufrieden. Bernd Kochanek, Landesvorsitzender des Vereins "Gemeinsam leben, gemeinsam lernen: Das Moratorium werde "die Bildungsqualität für Kinder mit Behinderung nicht verbessern, sondern verschlechtern".

Studiengebühren: Allgemeine Studiengebühren werden nicht eingeführt. Nur Nicht-EU-Ausländer sollen 1500 Euro pro Semester zahlen. Die Hochschulen könnten dadurch auf mittlere Sicht bis zu 100 Millionen Euro pro Jahr einnehmen.

Familie und Gesundheit: Das Modellvorhaben "Kein Kind zurücklassen" soll abgeschafft, Kinderarmut stattdessen mit einem breiteren Ansatz bekämpft werden. "Wir begrüßen, dass die neue Regierung die Kinderarmut aktiv angehen will. Jetzt müssen wir uns genau anschauen, was im Detail umgesetzt wird", sagt Eva Lingen, Landesgeschäftsführerin des Kinderschutzbundes. Der Verband will Beitragsfreiheit von Kita bis Schule. Schwarz-Gelb hingegen will es dabei belassen, dass in den Kitas nur das dritte Jahr beitragsfrei sein soll. Gleichzeitig will die neue Regierung ein Rettungspaket schnüren, um die Finanznot vieler Kita-Träger zu bekämpfen. Dazu sollen die jährlichen Pauschalen pro Kind steigen. Zuletzt sind Personal- und Betriebskosten stärker gestiegen als die Kindpauschalen.

Die Öffnungszeiten der Kitas sollen verlängert und reformiert werden. Um den Erziehern mehr Zeit zu geben, soll die Bildungsdokumentation, ein Bericht über die Entwicklung der Kinder, vereinfacht werden. Das Sprachniveau vierjähriger Kinder soll wieder systematischer erfasst werden, insbesondere in sozial benachteiligten Vierteln oder in Kitas mit hohem Migrantenanteil. Ein Jugendparlament soll Anträge an den Landtag formulieren können.

Dem Landarztmangel will Schwarz-Gelb mit einer Quote abhelfen: Zehn Prozent der Medizinstudienplätze gehen an Studierende, die sich verpflichten, eine Zeit lang auf dem Land zu arbeiten.

Digitaler Wandel: Ein Digitalministerium wird es wohl nicht geben. Wahrscheinlicher ist, dass das Wirtschaftsministerium zu einer Art Ministerium für Wirtschaft und Digitales aufgerüstet wird. Leiter könnte Andreas Pinkwart (FDP) werden, Rektor der HHL Leipzig Graduate School of Management, einer der Gründerschmieden in Deutschland. NRW soll zum gründerfreundlichsten Land werden. Start-ups will man ein bürokratiefreies erstes Jahr ermöglichen. Mit einem Gründerstipendium sollen 1000 Unternehmer ein Jahr lang monatlich mit 1000 Euro unterstützt werden. Die digitale Verwaltung soll genauso vorangetrieben werden wie die digitale Bildung in Schulen. Ein Pflichtfach Informatik wird es wohl nicht geben, das Fach Wirtschaft schon. Der Ausbau des schnellen Internets soll beschleunigt werden. "Wir wollen NRW bis 2025 flächendeckend mit Gigabit-Netzwerken versorgen", sagt Marcel Hafke (FDP), "zunächst gilt in NRW ‚Glasfaser first‘ und nicht das Aufrüsten alter Kupferkabel." Man bleibe aber technologieoffen, um innovative Technologien einsetzen zu können, etwa neue Standards von Kabelnetzbetreibern oder den Mobilfunkstandard 5G. Förderprogramme sollen besser gebündelt werden.

Gegenfinanzierung: Das ist die Blackbox des Koalitionsvertrages. CDU und FDP planen Mehrausgaben für Polizei, Hochschulen, Kitas und Justiz. Dennoch sollen die Landesausgaben ebenso wie die Neuverschuldung sinken. Im Raum steht das Versprechen einer nicht näher definierten "Digitalisierungsdividende" und die Hoffnung, mit dem Abbau von Bürokratie Kosten zu sparen und die Wirtschaft stärken zu können. Heinz Wirz, Landeschef des Bundes der Steuerzahler, mahnt: "Da erwarte ich vom Koalitionsvertrag schon noch ein paar verbindlichere Aussagen."

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