Partei ohne Kompass Warum die AfD Zuspruch in der Corona-Krise verliert

Berlin · Die AfD findet in der Corona-Krise keine einheitliche Position und verliert massiv an Zustimmung. Es ist eine neue Erfahrung für die Partei, die an Jubel in Serie gewöhnt war.

 Die Zustimmung schwindet: Der brandenburgische AfD-Chef Andreas Kalbitz und der Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland.

Die Zustimmung schwindet: Der brandenburgische AfD-Chef Andreas Kalbitz und der Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland.

Foto: AP/Michael Sohn

Es ist eine neue Erfahrung für die an Jubel in Serie gewöhnte AfD: Es geht kontinuierlich abwärts. Die Kurve ihrer Sympathiewerte hat sich im Corona-Krisenmodus nicht nur abgeflacht, sie weist überall Richtung Einstelligkeit. In Bayern, wo das Virus besonders intensiv zuschlug und die Politik besonders tatkräftig zulangte, ist die AfD bei den Wahlabsichten der Menschen von zehn auf sechs Prozent abgestürzt. Die Nervosität in der Partei wächst. Alles, was ihr thematisch bislang Aufmerksamkeit sicherte, ist vom Virus in den Hintergrund gedrängt worden. Und ein überzeugender Umgang mit dem Virus selbst ist ihr auch noch nicht gelungen.

Symptomatisch ist das Verhalten des AfD-Rechtspolitikers Stephan Brandner. An dem Tag, an dem das Virus endgültig im Alltag aller Menschen in Deutschland ankam und die Beschlüsse zu Schulschließungen auf den Weg kamen, twitterte er „Corona hin, Corona her…“ Längst galt die dringende Empfehlung, auf Abstand zu gehen, direkten Kontakt zu vermeiden. Doch Brandner präsentierte sich im Bild mit Parteifreunden im engen Schulterschluss beim AfD-„Bürgermobil“ in Gera.

Es war nur der Auftakt einer Serie fragwürdiger Verhaltensmuster. So wollte kurz darauf der sächsische Landtag in verminderter Aufstellung zusammenkommen, damit die Abgeordneten Abstand zueinander halten konnten. Doch die AfD erzwang eine vollkommene Präsenz im Landesparlament. Die Leipziger Buchmesse war längst abgesagt, um die Menschen nicht zu gefährden, die Semperoper hatte dichtmachen müssen, aber die AfD setzte durch, dass nicht ein Notparlament, wie von den anderen Fraktionen angeregt, sondern der komplette Landtag zu erscheinen hatte, mitsamt Mitarbeitern, Stenografen, Ordnungskräften – also rund 200 Menschen auf engem Raum. „Unverantwortlich“ nannte das Ministerpräsident Michael Kretschmer.

Widersprüche begleiten die AfD seit ihrer Gründung

Schon diese Begründung der AfD mutete ziemlich verwirrt an. Die Versammlung müsse in diesem Rahmen stattfinden, weil die AfD einen Antrag einbringen wolle, wonach künftig in Sachsen keine Versammlungen mehr stattfinden sollten. Dieser Art der negativen Vorbildfunktion ist die AfD bis in die Karwoche hinein treu geblieben. So fasste die Bundestagsfraktion nach mehrstündiger Debatte den Beschluss mit der wörtlichen Empfehlung: „Unternehmen sollen auf physische Meetings oder Firmenreisenden möglichst verzichten.“ Dafür waren die Abgeordneten aus ganz Deutschland angereist, um sich zu einem physischen Meeting im Reichstagsgebäude zusammen zu setzen.

Widersprüche begleiten die AfD seit ihrer Gründung. Doch nun führt sie selbst diese Widersprüche derart drastisch vor, dass AfD-Gegner gar nichts mehr herausarbeiten oder verdichten müssen, um das klar zu machen. Das übernehmen die Rechtspopulisten selbst. Sie beziehen das nicht nur auf das praktische eigene Handeln, sondern auch auf die damit verknüpfte Argumentation. Selbst angesichts vierstelliger Zahlen von Corona-Toten und kollabierenden Gesundheitssystemen in anderen Ländern gaben die AfD und ihre Anhänger der These weiterhin bereitwillig ein Zuhause, wonach die Corona-Pandemie nicht wesentlich schlimmer sei als eine gewöhnliche Grippe. Und nun kritisiert die AfD „anfangs zögerliches Vorgehen“ seitens der Bundesregierung als Ursache allen Übels.

Viele Parteitage und Zusammenkünfte der AfD werden begleitet von mehr oder weniger unterschwelligem Misstrauen und mehr oder minder verhüllten Intrigen – ausgetragen oft in Form von Geschäftsordnungsstreitigkeiten, mit denen unliebsame Themen oder Personen abgebürstet werden. Auch die jüngste Fraktionssitzung war davon geprägt. Zunächst hatte eine Gruppe von Kritikern die Sondersitzung gegen den Willen der Fraktion erzwungen. Sie wollte offensichtlich die AfD noch deutlicher als Opposition gegen den Regierungskurs positionieren und die Rücknahme aller Freiheitsbeschränkungen verlangen. Die Klimawandel-Leugner wären dann nahtlos zu Corona-Gefahren-Leugnern mutiert. Wieder ein schlagzeilenträchtiges Alleinstellungsmerkmal.

Wird die Sympathiekurve der AfD weiter nach unten weisen?

Im Weg stand ihnen unter anderem Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel, die dem Vernehmen nach die Bedrohung durch das Virus noch schärfer herausarbeiten wollte. Sie kurierte jedoch eine Erkrankung aus und wollte sich – wie etliche andere Abgeordnete, digital an der Sondersitzung beteiligen. Doch die Anwesenden setzten durch, dass die Zugeschalteten nur mitreden aber nicht mitentscheiden durften. Nach zähem Ringen kam letztlich ein Kompromiss heraus, dem die Zähne der Scharfmacher gezogen waren.

Vom weiteren Verlauf der Krise und ihrer Bewältigung wird abhängen, ob die Kurve der AfD weiter nach unten weist. Vorsorglich hat sie sich schon einmal als Grundrechte-Partei definiert und verlangt, die weitere Einschränkung der Freiheitsrechte in Deutschland ständig zu überprüfen. Das kann von Vorteil für die Partei sein, wenn Bund, Länder und Kommunen dem Wunsch nach Normalisierung wenigstens in verantwortbaren Bereichen zu wenig Rechnung tragen. Es kann aber auch erneut nach hinten losgehen, wenn das Virus sich in neuen Wellen weiterhin als tödlich erweist und die AfD es nicht angemessen ernst nimmt.

Denn eine Grundrechte-Partei, die das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus dem Blick verliert, nimmt sich selbst aus dem Rennen.

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