Strömung mit 7000 Anhängern Warum der Staatsschutz den Höcke-“Flügel“ der AfD beobachtet

Berlin. · Der Verfassungsschutz geht mit nachrichtendienstlichen Mitteln gegen die AfD-Strömung mit geschätzt 7000 Anhängern vor. Der Höcke-“Flügel“ steht unter besonderer Beobachtung.

 Steht im Zentrum des rechtsextremen Flügels: Björn Höcke, AfD-Fraktionschef von Thüringen.

Steht im Zentrum des rechtsextremen Flügels: Björn Höcke, AfD-Fraktionschef von Thüringen.

Foto: dpa/Martin Schutt

Als „Warnung an alle Feinde der Demokratie“ will Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang seine Entscheidung verstehen, ab sofort den völkisch-nationalistischen „Flügel“ der AfD auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu beobachten. Nach einjähriger Prüfung sei die AfD-interne Strömung als „gesichert rechtsextremistisch“ anzusehen. Insbesondere für die beiden führenden „Flügel“-Gestalten, die Landesvorsitzenden aus Thüringen und Brandenburg, gelte: „Björn Höcke und Andreas Kalbitz sind Rechtsextremisten.“

Bislang hatte der Verfassungsschutz nur öffentliche Quellen ausgewertet. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass er die ständige AfD-Behauptung, wonach der „Flügel“ nur rund ein Fünftel der Parteimitgliedschaft ausmache, für seine Einschätzung übernahm. Er leitete aus der Mitgliederzahl der AfD von 35.000 ab, dass sich die Zahl der geschätzten Rechtsextremisten somit um 7000 erhöht habe. Tatsächlich werden auf Parteitagen und in einzelnen Landesverbänden ganz andere Beobachtungen gemacht. Hier wird der Einfluss bundesweit auf 40 bis 50 Prozent geschätzt, vor allem in den von Höcke und Kalbitz gesteuerten Landesverbänden und Fraktionen kommen kaum noch Nicht-„Flügel“-Personen vor. Wenn der Verfassungsschutz nun mit V-Leuten und verdeckten Ermittlungen den „Flügel“ aufklärt, kann als Ergebnis in einem Jahr auch eine deutlich höhere Zahl stehen.

AfD hat bereits ein „Gegengutachten“ erstellt

Die AfD reagierte bereits vor der Entscheidung mit einem „Gegengutachten“, wonach sämtliche Vorwürfe entkräftet seien und das Vorgehen der Behörden politisch motiviert sei. Dagegen empfahl Unions-Innenexperte Matthias Middelberg der AfD, sie müsse sich „ohne Wenn und Aber von diesen Strukturen lossagen“. Dazu gehöre auch, dass sie sich von Höcke und Kalbitz trennt. „Tut sie dies nicht, kann niemand in der AfD mehr behaupten, man sei eine bürgerliche Partei“, unterstrich Middelberg.

Für FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle ist mit dem Schritt des Verfassungsschutzes „das Märchen von der AfD als bürgerliche Partei endgültig begraben“. Der Ball liege nun im Feld der AfD. „Entweder die Partei schließt Flügel-Funktionäre und Höcke-Sympathisanten konsequent aus, oder sie muss mittelfristig in Gänze zum Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes werden“, forderte der Liberale.

Auch die Vizepräsidentin des Europäischen Parlamentes, Katarina Barley (SPD), hält das für „wünschenswert“. Der „Flügel“ sei ein „Sammelbecken für Rechtsextreme um den Faschisten Björn Höcke“. Barley zieht zudem eine Verbindung zu einer europäischen Verpflichtung. „Die Ausgrenzung von Minderheiten und rechte Hetze, aus der Gewalt entspringt, ist leider in ganz Europa auf dem Vormarsch. Rechtsextreme Gruppierungen sind zunehmend grenzübergreifend vernetzt“, sagte Barley unserer Redaktion. Deshalb brauche Europa eine europaweite Definition von Rechtsextremismus und einen besseren Informationsaustausch zwischen den Mitgliedsstaaten. „Die EU kann nationale Behörden durch eine Präventionsstrategie gegen Extremismus sowie europäische Regeln gegen Hate Speech und Desinformation unterstützen“, erklärte die SPD-Politikerin.

Verfassungsschutz kauft Höcke eine Verharmlosung nicht ab

Der Verfassungsschutz hatte seinen weitreichenden Schritt gegen den „Flügel“ unter anderem mit den Inszenierungen von Anhängern Höckes beim letztjährigen „Kyffhäusertreffen“ begründet. Ein heroischer Einspielfilm, die Verleihung von „Flügel“-Abzeichen in Schwarz, Silber und Gold und sein Agieren als absoluter Hauptredner hätten die gestiegene Bedeutung und Präsenz Höckes deutlich gemacht. Auch wenn er seine Sprache verschleiere oder frühere Äußerungen neu auslege, liege das „geschlossene rechtsextremistische Gedankengut“ Höckes und die „verfassungsfeindliche Ausrichtung“ des „Flügels“ auf der Hand. Zudem sei über diverse Auftritte von Höcke mit anderen Rechtsextremisten klar geworden, dass er „Hebel über die Partei hinaus“ nutze.

Der Verfassungsschutz kauft Höcke auch eine Verharmlosung seiner Rede von 2017 über die „erinnerungspolitische Wende“ und das „Denkmal der Schande“ nicht ab. Das komme darin zum Ausdruck, dass das bei der AfD als Quelle gerne genutzte „Compact“-Magazin die Rede Jahre später in einer Sonderausgabe verbreitete. Die zugehörige GmbH wurde als Verdachtsfall eingestuft.

Nach Haldenwangs Einschätzung sollten „Flügel“-Sympathisanten in den Ämtern und Behörden nun „Probleme“ bekommen. Es seien viel zu viele „Einzelfälle“ geworden. „Extremisten haben im öffentlichen Dienst nichts zu suchen“, sagte Haldenwang, der dazu nun auch ein neues Lagebild vorbereitet.

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