Nach Bottrop und Amberg Wann man von Amok, Hetzjagd und Terror spricht

Bonn · Nach den Gewalttaten in Bottrop und Amberg wird einmal mehr um Worte gestritten. Das ist keine überflüssige Spielerei. Sprache spiegelt politische Interessen und prägt unsere Weltsicht.

 Fremdenfeindlich? Rassistisch? Demonstration gegen angeblichen Asylmissbrauch und neue Flüchtlingsheime im Januar 2015 in Frankfurt/Oder.

Fremdenfeindlich? Rassistisch? Demonstration gegen angeblichen Asylmissbrauch und neue Flüchtlingsheime im Januar 2015 in Frankfurt/Oder.

Foto: picture alliance / dpa

Ein Mann steuert sein Auto absichtlich in eine Gruppe von Menschen, die er als ausländisch wahrnimmt. Ist das ein Terroranschlag, ein Amoklauf, eine Attacke? Fremdenfeindlichkeit oder Rassismus? Und was darf und muss man über die Opfer sagen – dass sie aus Afghanistan oder der Türkei kommen, dass sie Flüchtlinge sind oder Migranten?

Es ist schwieriger geworden, scheinbar eindeutige Ereignisse in Worte zu fassen. Denn Sprache spiegelt die Weltsicht von Menschen – und sie beeinflusst, wie wir die Wirklichkeit sehen. Sprache ist mächtig. Sie berührt und formuliert Interessen, gerade bei sensiblen Themen und gerade, weil sie oft unbemerkt wirkt. Etwa, wenn die Wertung in der Wortwahl liegt, in der Emotion, die geschürt wird. „Die Art, wie wir über gesellschaftliche Prozesse reden, hat auch Einfluss darauf, welche gesellschaftlichen Konsequenzen wir ziehen“, sagt der Berliner Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch, „in kontroversen Zeiten wird Sprache darum besonders sichtbar.“ Es hilft also nichts: Über Sprache muss gelegentlich gesprochen werden. Und manchmal auch gestritten.

Hier einige Versuche, die Bedeutung strittiger Begriffe aus den vergangenen Tagen zu umreißen:

Amok:Ein Amokläufer übt in der Öffentlichkeit Gewalt aus, um Menschen zu verletzten oder zu töten und dadurch sein übersteigertes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit zu stillen. Die Tat kann lange geplant sein, verfolgt aber anders als beim Terrorismus kein ideologisches Ziel und läuft ab wie im Rausch. Der Täter in Bottrop nahm mehrere Anläufe, suchte gezielt nach seinen Opfern, ein Amokrausch war das wohl nicht.

Anschlag: Ein Anschlag ist ein Angriff auf Leben und damit ein recht allgemeiner Begriff. Spezifischer ist das Attentat, das meist auf Persönlichkeiten zielt. Die Taten sind in der Regel ideologisch, politisch oder religiös motiviert oder werden von psychisch gestörten Menschen ausgeübt. Eine Attacke ist ein Ausbruch von Gewalt, der keinem Programm folgen muss, dennoch kann eine Attacke geplant sein.

Ausländer: Menschen, die keinen deutschen Pass besitzen, sind Ausländer. Der Begriff wird manchmal abfällig und fälschlich verwendet, wenn Menschen eine andere kulturelle Herkunft haben oder sich nur äußerlich von einem vermeintlich stereotypen Bild der Deutschen unterscheiden.

Flüchtling: Laut Genfer Flüchtlingskonvention ist ein Mensch, der aufgrund krisenhafter äußerer Umstände seine Heimat verlässt, ein Flüchtling. Heimat wird definiert als das Land, dessen Staatsangehörigkeit der Mensch besitzt. Die Fluchtursachen können Katastrophen wie Krieg, Dürre oder wirtschaftliche Not sein. Migranten sind dagegen Menschen, die, aus welchem Grund auch immer, ihr Land verlassen. Das kann auch freiwillig geschehen, der Begriff ist also unpräziser.

Fremdenfeindlichkeit: Der Begriff ist schwierig, wenn man ihn verwendet, ohne die Identität der Opfer einer Tat zu kennen. Denn dann erklärt man die Betroffenen zu Fremden, obwohl sie vielleicht einen deutschen Pass besitzen. Vielleicht auch schon seit Generationen in Deutschland leben. Man nimmt also die Perspektive des Täters ein. Wenn ein Mann wie in Bottrop Menschen überfährt, die anders aussehen, entscheidet er rein visuell, wer Fremder sein soll. Das ist Rassismus.

Hetzjagd: Das Wort stammt aus der Jägersprache. Im übertragenen Sinne wird es verwendet, wenn eine Gruppe von Menschen unter Androhung von Gewalt andere Menschen jagt. Das ist so drastisch, dass man den Begriff mit Bedacht verwenden muss. Die Ereignisse in Chemnitz haben diesem Muster wohl nicht entsprochen. Und auch im bayerischen Amberg passt er nicht. Dort haben junge Männer, die als Flüchtlinge identifiziert wurden, Passanten direkt angegriffen und teils schwer verletzt. Das bezeichnet man als Prügelattacken.

Terror: Gewalt anzuwenden, um Angst und Schrecken zu verbreiten, ist Terror. Diese Strategie ist an keine politische Richtung oder religiöse Ausrichtung gebunden. Die Wirkung entscheidet. Wenn also jemand mit dem Messer auf Leute losgeht und „Allah ist groß“ schreit oder mit dem Auto in eine Menschenmenge rast, ist das Terror, auch wenn die Täter fanatisiert oder psychisch krank sind. Schrecken ist das Ziel.

Terrorismus: Die Anwendung von Gewalt gegen Unbeteiligte, um ideologische Ziele zu verfolgen, nennt man Terrorismus. Dabei wird die Gewalt meist öffentlich eingesetzt, um möglichst viel Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Abgrenzung zu gewaltvollen Aktionen etwa von Widerstandsbewegungen ist schwierig. Abhängig vom Standpunkt kann eine Gruppe, die zu Gewalt greift, als Freiheitskämpfer oder Terroristen wahrgenommen werden. Die Tat in Bottrop war kein Terrorismus, da der Täter kein politisches Programm verfolgt hat. Vielmehr kann man wohl vom Terrorakt eines einzelnen Rassisten sprechen.

Viele der genannten Begriffe sind nicht eindeutig definiert, aber gerade deshalb offenbaren sie politische Haltungen und provozieren möglicherweise Widerspruch. Objektive Sprache gibt es nicht. Darum ist Verständigung in einer Gesellschaft nur möglich, wenn um die Bedeutung von Begriffen gerungen wird. Respektvoll. Und auch selbstkritisch.

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