Haushaltsdebatte Versuchte Attacke auf die Regierung

BERLIN · Wolfgang Schäuble (CDU) muss sich wundern. Was erzählt der Mann am Rednerpult da gerade? Er, der Bundesfinanzminister, werde bald eine neue Postanschrift bekommen? "Zum Gysi Nummer 1". Das ist enorm. Linke-Fraktionschef Gregor Gysi hat soeben mit der Umbenennung von Schäubles Postanschrift gedroht.

Es läuft die Generalaussprache über den Haushalt des Bundes 2015, der erstmals seit 1969 wieder ohne neue Schulden auskommen soll. Gysi hat als Oppositionsführer den Aufschlag in diese rund vierstündige Debatte. Und er gibt sich entschlossen, kämpferisch und launig. Wenn der Bund also tatsächlich vorhaben sollte, Bundesstraßen zu verkaufen, um an frisches Geld zu kommen, dann werde er, Gysi, alles tun, um jene Straße zu kaufen, in der der Bundesfinanzminister wohne, und sie dann umtaufen: "Zum Gysi 1". Es ist nichts, was den Bundesfinanzminister wirklich schrecken muss, aber Gysi ist damit ganz schnell bei der heftig umstrittenen Pkw-Maut für Ausländer, einem Leib-und-Magen-Projekt der CSU in dieser großen Koalition. Die Christsozialen sollen wissen: "Lassen Sie den ganzen Quatsch mit der Maut. Das bringt nichts, liebe CSU, packen Sie die einfach weg."

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird dem Linke-Fraktionschef später wenig Hoffnung machen, dass sie das Vorhaben der CSU einfach opfern werde. Solides Haushalten sei Voraussetzung unter anderem für die Erneuerung der Energienetze oder für den Erhalt der Verkehrswege in Deutschland. Einmal gebe es da die Lkw-Maut. "Und auch die Einführung einer Pkw-Maut gehört dazu", bekräftigt die Kanzlerin. Das Konzept von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) werde nun mit den Ressorts wie mit der EU-Kommission abgestimmt.

38 Minuten dauert Merkels Auftritt in der Aussprache zum Etat des Bundeskanzleramtes. Eine Replik auf Gysis Angriffe, der der Regierung falsche Außenpolitik ("hilflos, wirr und durcheinander") vorwirft, einen Marshallplan für die Ostukraine fordert und sämtliche Beschlüsse des NATO-Gipfels von Wales für falsch hält, wird Merkels Erklärung nicht. Sie ignoriert Gysis Offensive und konzentriert sich stattdessen auf die Entwicklung der Republik im digitalen Zeitalter. Flächendeckende Breitbandnetze werde es geben, Vertrauen und Sicherheit im Internet müssten geschaffen werden.

Am 21. Oktober werde ein IT-Gipfel einberufen. Überhaupt sei der Eintritt in digitale Zeit "wie eine industrielle Revolution". Am Ende ist sie dann beim polnischen Präsidenten Bronislaw Komorowski, der am Morgen zum 75. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkrieges gesprochen hat. Komorowski würdigt das "Wunder der Versöhnung" und beschwört eine "deutsch-polnische Verantwortungsgemeinschaft". Merkel betont später die "epochale Leistung" der EU: Versöhnung und europäische Einigung.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt hat im Buch Genesis nachgeblättert. Auf sieben fette Jahre folgten sieben magere Jahre, betont der andere, bibelfeste Teil der Oppositionsspitze. Übersetzt in die Neuzeit bedeute dies: Sieben teure Jahre stünden bevor, geprägt von "außen: Krise, innen: Maut".

Wie alle Redner der großen Koalition betont dann auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann die Botschaft des Tages: der erste schuldenfreie Haushalt seit 46 Jahren. "Das ist die gute Botschaft an die jungen Menschen im Land." Alle sollen es glauben. Und auch CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt spricht von einer "historischen Zeitenwende" des ersten Haushaltes seit langem mit einer Schwarzen Null. Und dann erinnert sie noch an den Namen jenes Bundesfinanzministers, der zuletzt 1969 einen schuldenfreien Etat vorlegen konnte: Franz Josef Strauß.

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