Veranstaltungsabsagen Wie sich die Politik beim Coronavirus vor Entscheidungen drückt

Berlin · Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern sollen abgesagt werden. Der Fußball-Bundesliga droht bald ein Geisterspiel-Betrieb. Die Politik gibt nur „Empfehlungen“ und drückt sich vor der Haftungsfrage.

 Einen Handlauf im Stadion von Borussia Mönchengladbach desinfiziert eine Reinigungskraft. Wegen des Corona-Virus ergreift der Verein besondere Maßnahmen für die Fußballfans, damit diese sich sicher fühlen.

Einen Handlauf im Stadion von Borussia Mönchengladbach desinfiziert eine Reinigungskraft. Wegen des Corona-Virus ergreift der Verein besondere Maßnahmen für die Fußballfans, damit diese sich sicher fühlen.

Foto: dpa/Roland Weihrauch

Internationale Tourismus-Börse: abgesagt. Leipziger Buchmesse: abgesagt. Hannover Messe: abgesagt. Nur die Fußball-Bundesliga spielte (bisher) weiter, als wäre nichts geschehen. Jedes Wochenende eine halbe Million Zuschauer, die bereits auf dem Weg in die neun Stadien der gastgebenden Vereine dicht an dicht in Bussen und Bahnen sitzen – ideale Voraussetzungen zur Verbreitung des Coronavirus. Doch jetzt ist der Geist aus der Flasche. Mit der Empfehlung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern abzusagen, rüttelte der CDU-Politiker nicht nur das politische Berlin wach, sondern auch den deutschen Berufsfußball.

Doch man achte dabei auf die Wortwahl. Der Minister für die Gesundheit ordnet Spielabsagen nicht an, er rät nur dazu oder empfiehlt. Und das hat Gründe. Es geht im Unterhaltungs-Circus-Maximus der Fußball-Bundesliga um sehr, sehr viel Geld. Ein Milliarden-Geschäft aus Sponsoring, Ticketverkäufen, VIP-Logen, Fernsehrechten, Fanartikel-Verkauf.

Noch vor zwei Wochen wollten Spahn und der für den Sport zuständige Bundesinnenminister Horst Seehofer bei einem gemeinsamen Auftritt möglichen Spielabsagen der Fußball-Bundesliga nicht das Wort reden. Nicht einmal zu Spielabsagen, wenn in der Champions League etwa Fans italienischer Vereine nach Deutschland einreisen würden, wollte sich Seehofer äußern: „Steht jetzt nicht an.“ Inzwischen steht es an. Borussia Dortmund wird sein Achtelfinal-Rückspiel der Champions League bei Paris St. Germain vor leeren Rängen absolvieren.

Und wenn an diesem Mittwoch das Nachholspiel Borussia Mönchengladbach gegen den 1. FC Köln angepfiffen werden sollte, droht erstmals seit Ausbruch der Corona-Krise auch ein Geisterspiel der Fußball-Bundesliga. Noch ist darüber nicht entschieden, doch die Lage ist heikel. Im näheren Einzugsgebiet der Borussia liegt der Kreis Heinsberg, die mit 292 Krankheitsfällen am höchsten durch das Coronavirus belastete Region im Bundesgebiet. Inzwischen hat Spahn gar von Reisen nach NRW abgeraten – so wie das Auswärtige Amt vor Reisen nach Südtirol.

Trotzdem ließ das Gesundheitsamt Mönchengladbach das Bundesligaspitzenspiel gegen Borussia Dortmund am Samstagabend anpfeifen. Eine Großveranstaltung mit 54 000 Zuschauern. Der Charité-Chefvirologe Christian Drosten sagte am Montag bei einem Auftritt mit Spahn zur Verbreitung des Virus: „Wir sind in einer absolut ernsten Lage.“

Bund und Länder wollen jedenfalls solche Spielabsagen nicht anordnen, obwohl es ihre Aufgabe ist, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Aus einem einfachen Grund: „Die Kosten trägt der, der die Veranstaltung absagt“, sagte der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Steve Alter, am Freitag in der Bundespressekonferenz. Auch eine Sprecherin von Gesundheitsminister Spahn sagte am Montag: „Es hängt immer davon ab, wer absagt.“ Deswegen folgt auch NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) der Marschroute: „Ob sie ohne Publikum spielen oder ob sie gar nicht spielen, das muss schon der Verein entscheiden, nicht ich.“

Er wolle die Spahn-Empfehlung auch umsetzen. Empfehlung einer Spielabsage Ja, Anordnung Nein. Das Risiko der Haftung will der Staat möglichst auslagern: bei den Vereinen. Sonst könnten die Klubs, die sich teilweise gegen solche Ereignisse durch Ausfallversicherungen abgesichert haben, bei dem vorstellig werden, der die Spielabsage anordnet: bei der öffentlichen Hand, also bei Bund, Ländern oder Kommunen.

Auch die Deutsche Fußball-Liga, die für den Spielbetrieb der Fußball-Bundesliga verantwortlich ist, bekleckert sich in dieser durch das neuartige Coronavirus ausgelösten Situation nicht mit Ruhm. Der Name des Pressesprechers fällt bei der DFL bei Telefonanfragen unter „Datenschutz“. Anfragen nur schriftlich. Worauf man eine dünne Erklärung erhält, in der steht: „Nach derzeitigem Stand gibt es keinen Hinweis darauf, dass Begegnungen der Bundesliga und 2. Bundesliga nicht wie geplant ausgetragen werden können. Sollte sich an der derzeitigen Lage etwas ändern, entscheiden die Gesundheitsbehörden vor Ort an den Stadion-Standorten der Bundesliga und 2. Bundesliga über mögliche Konsequenzen.“ Das war am Donnerstag der vergangenen Woche. Mittlerweile ist einiges in Bewegung geraten.

DFL-Geschäftsführer Christian Seifert erklärt mittlerweile schriftlich: „Das Coronavirus bringt die gesamte Gesellschaft und damit auch den Fußball in eine schwierige Situation. Selbstverständlich gilt der Gesundheit der Bevölkerung und damit auch aller Fußball-Fans oberste Priorität. Dabei muss es das Ziel sein, in unterschiedlichen Lebensbereichen den jeweils angemessenen Weg zu finden zwischen berechtigter Vorsorge und übertriebener Vorsicht.“

Bisher rollte der Ball in Deutschland – Virus hin, Virus her – vor Zuschauern weiter. In ganz Europa ist Profi-Fußball ein Wirtschaftsfaktor. Allein die Bundesliga setzt pro Saison mehr als drei Milliarden Euro um. Regierungssprecher Steffen Seibert will sich ebenfalls nicht klar zu der Frage äußern, warum der Staat, wenn er denn die Gesundheit seiner Bürger schützen will, Spielabsagen nicht selbst anordnet. Die Bundesregierung sei für Absagen von Großveranstaltungen „nicht zuständig“. Nur warum bleibt die Bundesregierung auf der Ebene der „Empfehlung“, wenn die Lage so ernst ist? Gesundheitsminister Spahn sagte am Montag zunächst: „Es ist schlicht die Rechtslage, dass es die lokalen Behörden entscheiden.“

Womöglich steht hinter allen „Empfehlungen“ von Bund und Ländern die stille Erwartung, dass das Big Business Bundesliga schon in der Lage sei, das wirtschaftliche Risiko selbst zu stemmen. Seibert spricht von einer „sehr dynamischen Lage“. Die Zahl der Infektionen in Deutschland könnte also weiter ansteigen. „Ich weiß nicht, wie die Lage in ein, zwei, drei Wochen sein wird. Aber Sie sehen ja, dass reihenweise Großveranstaltungen abgesagt werden und dass auch im Sportbereich darüber nachgedacht wird.“

Gesundheitsminister Spahn antwortete auf die Frage, wie er es jetzt für Großveranstaltungen wie etwa Spiele der Bundesliga halte. „Ich ermuntere die Verantwortlichen ausdrücklich, Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern abzusagen. (...) Das heißt ja nicht, dass der Sport nicht stattfindet, sondern die Frage ist: Unter wie vielen Beteiligten?“ Der Ball rollt. In einer Fußball-Bundesliga, die womöglich bald eine Geisterspiel-Liga ist.

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