Interview mit Integrationsstaatssekretär Thorsten Klute "Unter dem Deckmantel einer Religion"

BONN · Man darf religiösen Fanatismus nicht pauschal mit Integrationsproblemen vermischen, sagt Thorsten Klute. Mit dem SPD-Politiker sprachen Bernd Eyermann und Frank Vallender.

Herr Klute, was steckt aus Ihrer Sicht hinter der "Scharia-Polizei"?
Thorsten Klute: Das erscheint einerseits als ein kurzfristiges Phänomen in Wuppertal, wo junge Menschen bestimmt ein Stück weit provozieren wollten und das auch öffentlich im Internet zur Schau gestellt haben. Andererseits aber gefährdet diese Provokation nachhaltig den Zusammenhalt der Gesellschaft. Gut, dass verschiedene Beteiligte, die Wuppertaler Polizei, auch die Landesregierung, sehr hart eine Grenze gezogen haben. Niemand darf sich Polizei nennen und Sittenwächter spielen.

Nochmal: Was steckt hinter der Scharia-Polizei? Sind das Hardliner oder ist es "der bemitleidenswerte Versuch einer jungen Männer-Generation, ihren Platz in einem komplizierten Leben zu finden", wie es jüngst in einem GA-Kommentar hieß?
Klute: Beim Salafismus haben wir es in der Tat überwiegend mit jungen Männern zu tun, die auf der Suche nach Orientierung sind. Wenn diese jungen Männer aber an Hardliner geraten, die ganz einfache Botschaften haben und Lösungen für alle Probleme des Lebens anbieten, dann wird es gefährlich. Das sieht man zum Beispiel am Erfolg dieser Hardliner bei der Anwerbung von Kämpfern in Syrien, im Irak und anderswo. Gerade die Familien betrachten den Weg ihrer Kinder mit großer Sorge und kommen dann auch an einen Punkt der Hilflosigkeit.

Das deutet aber doch auch daraufhin, dass in der Integrationspolitik etwas schiefgegangen ist...
Klute: Man darf religiösen Fanatismus nicht pauschal mit Integrationsproblemen vermischen. Es gibt sicher auch Defizite in der Integrationspolitik. Auf der anderen Seite geraten viele Erfolge der Integration in den Hintergrund. Wir erleben gerade, dass mehr junge Menschen mit Migrationshintergrund höhere Bildungsabschlüsse schaffen und dass weniger Jugendliche aus diesen Elternhäusern die Schule ohne Abschluss verlassen.

Viele Bürger nehmen aber vor allem die Defizite wahr.
Klute: Das schmälert nicht die unbestrittenen Erfolge, zeigt aber, dass wir uns weiter um Lösungen bemühen müssen, wo es noch hakt.

Was sagen Sie Bürgern, die ein härteres Vorgehen gegen Salafisten fordern?
Klute: Wir tolerieren nicht, dass religiöse Extremisten gewalttätig werden und zu Straftaten aufrufen. Da sind Polizei und Verfassungsschutz gefragt. Bei der Scharia-Polizei ist innerhalb eines Wochenendes konsequent eine Linie gezogen worden. Das Thema Salafismus ist an manchen Stellen aber gar kein Problem der Integration. Nehmen Sie die Namen und Biografien einiger bekannter Prediger.

Pierre Vogel, Sven Lau, Silvio K.
Klute: Genau, sind das etwa Zugewanderte? Da stellen Sie fest, dass über Generationen kein Migrationshintergrund besteht. Es stellt sich die Frage, ob es nicht eher ein Problem von fehlender Anerkennung ist, die diese Menschen in ihrem noch jungen Leben erfahren haben. Gegen Ausgrenzung helfen vor allem Bildung und berufliche Perspektive.

Aber es sind in diesen Kreisen auch viele junge Muslime dabei.
Klute: Ich möchte ausdrücklich betonen: Es geht um Fanatismus und Extremismus unter dem Deckmantel einer Religion. Deshalb muss man diese Auswüchse bekämpfen und nicht die Religion anprangern. Das Präventions-Programm "Wegweiser" des Innenministeriums geht diesen Weg. Darin werden gezielt junge Menschen, insbesondere Männer, angesprochen mit dem Ziel, dass sie erst gar nicht in diese Kreise abgleiten. Dabei können wir übrigens auch auf die Unterstützung der großen islamischen Verbände und der allermeisten Moscheegemeinden bauen.

Kommen Sie überhaupt noch an die Menschen ran? Man spricht von 6000 politisch-missionarischen, wenn nicht gar gewaltbereiten Salafisten in Deutschland, von deutlich über 1000 in NRW.
Klute: Es kommt auf den Weg an. "Wegweiser" ist ein Programm in drei NRW-Städten, auch in Bonn, das Wirkung zeigt. Allein in Bonn gibt es in der Woche mehrere Anrufe von besorgten Eltern, die sagen, mit meinem Sohn passiert hier was. Ich weiß nicht mehr weiter. Lehrer rufen an, auch Menschen aus Moscheevereinen. Man kommt schon ran.

Vor gut einem Jahr sind in den Kreisen und kreisfreien Städten in NRW Kommunale Integrationszentren eingerichtet worden. Warum sind die bisher so wenig bekannt?
Klute: Weil sie vor allem im Hintergrund tätig sind. Dort aber leisten sie ganz wertvolle Arbeit. Sie beraten, sie unterstützen und sie vernetzen.

Wie geschieht das?
Klute: Die Mitarbeiter gehen in die Schulen, erklären jungen Menschen mit Migrationshintergrund und deren Eltern, welche Ausbildungswege es gibt, welche Möglichkeiten in der Schule bestehen.

Ein Beispiel?
Klute: Oft ist die Bedeutung von dualer Ausbildung unter den Migranten nicht so bekannt. Eltern stehen zuweilen vor der Frage, ob das Kind für 600 Euro monatlich eine Ausbildung machen oder für 1300 Euro im Monat ohne Ausbildung in einer Firma arbeiten soll. Da ist es wichtig, mit Netzwerken an die Eltern, die oft schließlich der erste Berufsberater sind, heranzukommen.

Lässt sich evaluieren, wie wirksam die Arbeit ist?
Klute: Das werden wir gemeinsam mit den Kommunen überprüfen. Das ist oft nur schwer in Zahlen zu fassen. Bei den Kommunalen Integrationszentren sind wir im Aufbau. Es geht hier um einen langfristigen und nachhaltigen Erfolg.

Zur Person

Thorsten Klute ist seit 2012 stellvertretender Vorsitzender der nordrhein-westfälischen SPD. Seit Dezember 2013 ist der 1974 geborene Jurist Staatssekretär für Integration im Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales. Zuvor war er neun Jahre Bürgermeister der ostwestfälischen Stadt Versmold. Klute ist verheiratet und Vater zweier Töchter.

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