Gesundheit Ungerechter Finanzausgleich bedingt Kassensterben

Berlin · Im Jahr 2000 gab es noch 420 Krankenkassen, 2014 waren es 132, jetzt sind es noch 107, sagt der Chef des BKK-Dachverbandes. Grund für den Rückgang ist aus seiner Sicht ein ungerechter Finanzausgleich zwischen den Kassen.

 Es gibt nur noch 107 Krankenkassen.

Es gibt nur noch 107 Krankenkassen.

Foto: Oliver Berg/Archiv

Der Dachverband der Betriebskrankenkassen (BKK) rechnet in den kommenden Jahren mit einem weiteren massiven Krankenkassensterben.

Der Grund liege in der "systematischen Benachteiligung" einiger Kassenarten durch den gegenwärtigen Finanzausgleich zwischen den gesetzlichen Krankenkassen, sagte der Vorstandsvorsitzende des BKK-Dachverbandes, Franz Knieps. Dies führe wiederum zu massiven Wettbewerbsverzerrungen.

Nach einer bislang unveröffentlichten Krankenkassenanalyse der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO, die der dpa vorliegt, wird sich mittel- bis langfristig die Zahl der Krankenkassen um 20 bis 35 Prozent reduzieren. Im Jahr 2000 gab es noch mehr als 400 gesetzliche Krankenkassen. Deren Zahl sank bis 2014 auf mehr als 130 und lag am 1. Januar 2016 bei nur noch 118. Nach der BDO-Prognose fiele sie deutlich unter 100.

Knieps erläuterte, durch den Risikostrukturausgleich (RSA) nach dem Schweregrad der Erkrankungen unter den Versicherten (Morbidität) bekämen einige AOKen mehr Geld als sie benötigten und könnten Überschüsse anhäufen. Innungs-, Ersatz- und vor allem Betriebskrankenkassen "bekommen weniger Geld als sie brauchen und müssen entsprechend Defizite ausweisen beziehungsweise ihre Zusatzbeiträge anheben". Knieps fügte hinzu: "Eine Kasse mit hohen Beiträgen verliert Mitglieder."

Im gegenwärtigen Finanzausgleich gebe es "einen ganzen Strauß von Mechanismen, die diese Fehlsteuerungen bewirken", sagte der Verbandschef. So würden nur bundesweite Durchschnittswerte ausgeglichen, obwohl die realen Kosten der Versorgung regional "sehr, sehr unterschiedlich sind". In Ballungsgebieten wie München, im Rhein-Main-Gebiet, in Berlin oder im Ruhrgebiet gebe es ein viel größeres Angebot an Ärzten, Krankenhäusern oder Apotheken als auf dem Land. "Und das Angebot erzeugt Nachfrage."

Knieps sieht "eine Chance von 20 Prozent, dass das Thema Finanzierung noch in dieser Legislaturperiode angepackt wird". Dann sei aber nur mit kleineren Schritten zu rechnen. So könnte die besondere Berücksichtigung der Erwerbsminderungsrentner gestrichen werden, die im neuen Ausgleichssystem nach Krankheiten überflüssig geworden sei.

Für eine Gesamtreform des Finanzausgleichs nannte Knieps drei Eckpunkte. Zum einen müsste ein Regionalfaktor - Ballungsraum oder ländliche Region - einbezogen werden. Zudem dürfe im Finanzausgleich künftig "Solidarität nicht mehr bedeuten, dass derjenige, der abgibt, ärmer wird als derjenige, der empfängt. Da sollte eine Grenze eingezogen werden." Und schließlich sollten die Mechanismen des Finanzausgleiches sicherstellen, dass die Menschen nicht kränker gemacht werden können, als sie wirklich sind.

Nach der BDO-Studie sind in 10 bis 20 Jahren Einschnitte in den gesetzlichen Leistungskatalog der Kassen unumgänglich, um der Kostensteigerung etwa durch die begonnenen Reformen und der demografischen Entwicklung zu begegnen. Zudem sollten Konzentrationsprozesse eingeleitet und nicht mehr jede Gesundheitsleistung in der Fläche angeboten werden.

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