28. Jahrestag der Einheit Tag der Deutschen Einheit: Ruf nach mehr Dialog

Berlin · Mahnungen und Nachdenklichkeit dominieren die Reden zum Tag der Deutschen Einheit. Bundestagspräsident Schäuble wirbt für einen Patriotismus, der anders ist als die rechtspopulistischen Lockrufe.

Besucher des Bürgerfests tummeln sich vor dem mit einer Installation des Street Art-Künstlers JR versehenen Brandenburger Tor.

Besucher des Bürgerfests tummeln sich vor dem mit einer Installation des Street Art-Künstlers JR versehenen Brandenburger Tor.

Foto: Christoph Soeder

Am 28. Jahrestag der Wiedervereinigung haben Politiker die Deutschen aufgerufen, lauter ihre Stimme gegen Rechtspopulismus und Fremdenhass zu erheben.

Gleichzeitig plädierten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Kanzlerin Angela Merkel und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (beide CDU) für mehr Dialog und gegenseitiges Zuhören, um Polarisierung und Gräben im Land zu überwinden.

"Auch in Deutschland begegnet uns die populistische Anmaßung, wieder das "Volk" in Stellung zu bringen, gegen politische Gegner, gegen vermeintliche und tatsächliche Minderheiten, gegen die vom Volk Gewählten", sagte Schäuble am Mittwoch bei einem Festakt zum Tag der Deutschen Einheit in Berlin. Niemand habe aber das Recht zu behaupten, er allein vertrete "das Volk". Obwohl es Deutschland zur Zeit gut gehe, dominiere der Pessimismus, beklagte Schäuble. Er warb für mehr Mut und Vertrauen in das Handlungsvermögen der Gesellschaft. "Selbstvertrauen, Gelassenheit, Zuversicht" bildeten den "Dreiklang eines zeitgemäßen Patriotismus".

Bundesratspräsident Michael Müller sagte bei dem Festakt: "Wir dürfen nicht zulassen, dass die Minderheit einer neuen Rechten die Deutungshoheit über das Erreichte an sich reißt und dabei die Grundwerte unserer Gesellschaft missachtet." Der SPD-Politiker fügte hinzu: "Dem müssen wir Einhalt gebieten". Es sei Zeit, offen und laut für unsere Grundwerte einzustehen. Diese seien Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Solidarität.

Nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist die Einheit der Deutschen in Ost und West noch lange nicht vollendet. Sie sei vielmehr "ein Prozess" und ein "langer Weg." Wichtig sei, "einander zuzuhören, aufeinander zuzugehen, nicht nachzulassen", betonte die Kanzlerin. Dies gelte nicht nur für Politiker, sondern für alle Bürger. Merkel stellte fest: "Die Deutsche Einheit ist nicht beendet" , sondern fordere die Menschen bis heute immer wieder heraus.

In diesem Jahr richtete Berlin die zentralen Feierlichkeiten zum Einheitstag aus. 600.000 Besucher kamen nach Angaben der Veranstalter zu einem bereits am Montag eröffneten Bürgerfest rund um Brandenburger Tor und den Reichstag. Am Mittwoch war es auf der zu Wochenbeginn eröffneten Festmeile deutlich voller als zuvor.

Anlässlich der Feiern demonstrierten nach Einschätzung von Beobachtern etwa 2000 Rechtsextreme und Rechtspopulisten. Die Polizei wollte sich nicht auf eine Zahl festlegen, widersprach der Einschätzung aber nicht. Es waren viele Deutschlandfahnen zu sehen, einige Teilnehmer zeigten den Hitlergruß. Die Demonstranten riefen in Sprechchören "Wir sind das Volk", "Merkel muss weg" und "Lügenpresse". Plakate der AfD wurden gezeigt.

Einige Dutzend Teilnehmer trugen Tätowierungen, Aufschriften auf der Kleidung und Plakate, die die Zugehörigkeit zur Neonazi-Szene betonten. Auf einem großen Plakat stand "N.S Havelland". Weitere rund 1000 Menschen schlossen sich diversen Demonstrationen linker Gruppen an. Die Teilnehmer hatte unter anderem Transparente mit der Aufschrift "Mehr Respekt und Toleranz" oder "Refugees Welcome" dabei.

Zu allen Veranstaltungen gab es starke Sicherheitsvorkehrungen. Die Polizei war mit rund 4000 Beamten im Einsatz. Teile der Berliner Innenstadt waren abgesperrt, an den Eingängen zum Bürgerfest gab es strenge Kontrollen.

Steinmeier sagte am Rande der Feierlichkeiten: "Das Wichtigste ist, dass die Gesellschaft mit sich selbst ins Gespräch kommt." Es gelte, sie zusammenzuhalten.

CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer forderte eine Kraftanstrengung der politischen Mitte gegen Rechtsextremisten und Populisten von Rechts und Links. "Gerade Naziparolen dürfen keine Resonanz finden, egal ob sie in Chemnitz oder in Dortmund gegrölt werden", schrieb sie in einem Gastbeitrag für das Internetportal "t-online". "Und Menschen, die sich dagegen wehren wollen, müssen Rückhalt und Unterstützung aus der politischen Mitte erhalten und nicht vom extremen linken Rand."

Auch andernorts in Deutschland wurde an die Wiedervereinigung 1990 erinnert. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) sprach sich für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Einigungsprozess aus. "Dies kann helfen, emotionale Wunden zu heilen", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Viele Ostdeutsche seien nach 1990 nicht fair behandelt worden - dies sei lange nicht genügend beachtet worden. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) forderte mehr Respekt für die Leistungen der Ostdeutschen.

In München demonstrierten am Tag der Deutschen Einheit Zehntausende gegen Rechts. Die Polizei in der bayerischen Landeshauptstadt sprach von mindestens 21.000 Teilnehmern. Die Veranstalter gingen von 40.000 Teilnehmern aus. Bei der Veranstaltung unter dem Motto "Jetzt gilt's! - Gemeinsam gegen die Politik der Angst" trugen viele Demonstranten Plakate, auf denen sie direkt die CSU-Politiker Horst Seehofer und Markus Söder attackierten: "Ausgsödert is" und "ausgseehofert is" lauteten einige der Sprüche. In Bayern wird in eineinhalb Wochen ein neuer Landtag gewählt.

Kirchenvertreter mahnten ein stärkeres Miteinander an. "Die Mauer, die uns trennte, ist Geschichte. Dafür entstehen heute an anderer Stelle Fliehkräfte, die unsere Gesellschaft auseinander treiben wollen", sagte der evangelische Berliner Bischof Markus Dröge bei einem ökumenischen Gottesdienst. "Einheit bedeutet deshalb heute nicht nur die Einheit von Ost und West, sondern auch die soziale Einheit unseres Landes. Nur wenn wir alle mitnehmen, sichern wir den sozialen Frieden in unserem Land."

Die zentralen Einheitsfeiern finden stets in dem Land statt, das den Bundesratspräsidenten stellt. 2019 ist Schleswig-Holstein an der Reihe.

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