Straftaten Täter sollen Opfer von Straftaten entschädigen

Düsseldorf/Hamm · Die EU fordert die Einrichtung von Opferfonds, die sich aus dem Vermögen Krimineller speisen sollen. Daraus erwächst für die Opfer von Straftaten neue Hoffnung.

 Oberstaatsanwalt José Andrés Asensio Pagán.

Oberstaatsanwalt José Andrés Asensio Pagán.

Foto: picture alliance / Ina Fassbende

Opfer von Straftaten in Deutschland können sich Hoffnung machen, in Zukunft finanziell besser entschädigt zu werden. „Die EU hat ihre Mitgliedstaaten kürzlich aufgefordert, die Einrichtung nationaler Fonds zu prüfen, um sicherzustellen, dass Opfer von Straftaten angemessen entschädigt werden“, sagte Oberstaatsanwalt José Andrés Asensio Pagán unserer Redaktion. Asensio Pagán leitet die bundesweit einzigartige Zentrale Organisationsstelle für Vermögensabschöpfung Nordrhein-Westfalen in Hamm.

„Gelder aus der Verwertung eingezogener Vermögensgegenstände könnten der EU zufolge dann dem Fonds zugewiesen und zur Opferentschädigung genutzt werden“, erklärte der 52-Jährige. Demnach wäre zum Beispiel eine Auszahlung an Opfer von Enkeltrickbetrügern, Sexualstraftaten oder von Menschen- und Drogenhandel, aber auch Zahlungen an Familienangehörige getöteter oder dauerhaft behinderter Verbrechensopfer denkbar, so der Oberstaatsanwalt.

Ob und wann ein solcher Fonds in Deutschland eingerichtet wird, ist bislang zwar noch nicht geklärt. Der Vorschlag der EU findet sich aber in einer Verordnung des EU-Parlaments, die im November 2018 verabschiedet worden ist und ab Dezember 2020 gilt. Eine Verordnung ist unmittelbar geltendes europäisches Recht. „Wir prüfen, ob einzelne Verfahrensvorschriften erlassen werden müssen, um die Regelungen in der Verordnung anwenden zu können“, sagte ein Sprecher des Bundesjustizministeriums in Berlin.

"Weißer Ring" begrüßt jede Form von Entschädigungen

Grundsätzlich seien die Opferhilfe und die Opferentschädigung zentrale Anliegen des Bundesjustizministeriums, deren Verbesserung man kontinuierlich prüfe, betonte der Sprecher. „Wenn die Prävention versagt hat und der Staat seine Bürger nicht wirksam vor Kriminalität schützen konnte, muss dafür Sorge getragen werden, dass Kriminalitätsopfern wirksam geholfen wird“, heißt es vonseiten des Ministeriums.

Opferschutzverbände wie der „Weiße Ring“ begrüßten jede Form von Entschädigungen, die Opfer von Straftaten besser stellen würden, teilte die Organisation mit. „Im Prinzip ist ein solcher Fonds eine gute Sache, aber bei Fonds werden häufig Gelder pauschal und nicht individuell ausgeschüttet“, sagte der Sprecher des „Weißen Rings“ Dominic Schreiner. Entschädigungsfonds für Opfer seien generell schwierig, weil die Betroffenen einen Antrag stellen und ihre Ansprüche begründen müssten. „Sie treten dann als Bittsteller auf. Und das ist nicht förderlich“, so Schreiner.

Das deutsche Opferentschädigungsgesetz wird derzeit novelliert. Beim NRW-Justizministerium will man abwarten, bis dieser Prozess abgeschlossen ist. „Dann soll entschieden werden, ob und in welchem Umfang ein eigener nordrhein-westfälischer Opferfonds geeignet sein kann und gegebenenfalls bestehende Schutzlücken bei der angemessenen Entschädigung der Opfer von Straftaten zu schließen“, sagte ein Sprecher des NRW-Justizministeriums. „In diesem Zuge wird auch die Möglichkeit, eingezogenes Tätervermögen nutzbar zu machen, in den Blick genommen werden“, so der Sprecher weiter.

Opferfonds sei längst überfällig

Bei der Polizei unterstützt man die EU-Verordnung. „Das ist der richtige Ansatz. Es wird viel zu wenig für die Opfer gemacht. Das Täterrecht hängt hierzulande viel zu hoch“, sagte Erich Rettinghaus, NRW-Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft. Michael Mertens, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, bezeichnet den von der EU angeregten Opferfonds als längst überfällige Maßnahme. Nichts treffe die Kriminellen mehr als der Einzug ihrer illegal erworbenen Gewinne.„Deshalb sollte der Staat dieses Instrument nicht nur offensiv nutzen, sondern die eingezogenen Vermögen auch den Opfern zu Gute kommen, statt nur den öffentlichen Kassen“, sagte Mertens.

Wer als älterer Mensch auf den Enkeltrick hereinfiele erleide nicht nur einen schweren Schock, sondern er würde auch die letzten finanziellen Reserven verlieren, die er sich für das Alter zurückgelegt habe. „Keine Versicherung haftet für den Schaden, die ihm der Betrüger zugefügt hat. Deshalb ist es richtig, dass der Staat ihm hilft“, bekräftige Mertens.

Dem Leiter der Zentralen Organisationsstelle für Vermögensabschöpfung zufolge müssten vor einer möglichen Einführung des Fonds in Deutschland noch zahlreiche Fragen geklärt werden – angefangen damit, welchen Teil der eingezogenen Vermögensgegenstände aus Straftaten die Bundesländer dem Fonds jeweils zuweisen sollen. „Die genauen Details müssten der Bund und die Länder ausarbeiten“, so Asensio Pagán. Unter Umständen könnten demnach nicht nur Geschädigte aus aktuellen Strafverfahren Entschädigungsansprüche geltend machen, sondern auch Opfer von Straftaten, die bereits viele Jahre zurückliegen.

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