Wehrbeauftragter rügt Zustand So schlecht steht es um die Bundeswehr wirklich

Berlin · Zu wenig Personal, zu viele Aufgaben, zu schlechte Ausrüstung: Mit großen Reformen wollte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Probleme der Bundeswehr anpacken. Laut dem Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels hat sich nichts verbessert.

 Ein Radpanzer der Bundeswehr in der Wartung: Viele Fahrzeuge und Gerätschaften sind nicht einsatzfähig.

Ein Radpanzer der Bundeswehr in der Wartung: Viele Fahrzeuge und Gerätschaften sind nicht einsatzfähig.

Foto: afp

Fehlende Panzer, Schutzwesten, Zelte und Winterbekleidung ausgerechnet bei Soldaten, die sich auf eine besondere Nato-Bereitschaftsfunktion vorbereiten: Diese Nachrichten schließen sich an Meldungen von ausfallenden Flugzeugen an, ergänzen Berichte über tödlich endende Märsche. Auf dem Höhepunkt der Negativschlagzeilen stellt der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels seinen Jahresbericht vor. Die wichtigsten Fragen zum Zustand der Bundeswehr.

Ist die Truppe noch einsatzbereit?

Das Ministerium sagt, dass alle Verpflichtungen erfüllt werden könnten und es keinerlei Klagen von Partner-Armeen gebe. Der Wehrbeauftragte hält dagegen: Alle sechs U-Boote sind stillgelegt, von 14 A-400M-Transportflugzeugen funktioniert derzeit kein einziges, statt 15 Fregatten hat die Marine nur neun. Bartels beobachtet, wie mit jeder vorübergehend gestopften Lücke an anderer Stelle neue gerissen werden. Die großen „Lücken bei Personal und Material sind teils noch größer geworden“, heißt es im aktuellen Jahresbericht. Die Ausrüstungsmisere betreffe die gesamte Truppe.

Woran liegt es?

Unstrittig ist, dass nach dem Fall der Mauer 25 Jahre lang „Friedensdividende“ gezahlt und damit Bundeswehr und Verteidigungsetat verkleinert wurden: von rund 500 000 auf unter 190 000 Soldaten, von 28 auf 23 Milliarden Euro. Im Laufe dieser Wahlperiode soll der Wehretat wieder auf über 40 Milliarden steigen. Einschneidende Bundeswehrreformen wurden selten ganz umgesetzt, bevor schon die nächsten beschlossen wurden. So entstand ein Stückwerk, das um so mehr klemmte, je mehr Aufgaben die Bundeswehr übernehmen sollte. Mal nur noch Bündnisunterstützung, jetzt wieder Heimatverteidigung. Auch die Industrie hat ihre Kapazitäten runtergefahren, so dass sie für die Lieferung eines kleinen, aber wichtigen Ersatzteiles bis zu drei Jahre braucht.

Wie wirkt das auf die Truppe?

Der Wehrbeauftragte hat beobachtet, dass sich viele Soldaten überlastet fühlen und frustriert sind. Zum Beispiel, wenn sie nach langen Einsätzen wie in Mali endlich nach Hause können und dann die Transportmaschinen wieder und wieder ausfallen. Das belastet auch ihre Familien. Erschwerend kommt hinzu, dass Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) massiv an Ansehen verloren hat, seit sie der Bundeswehr pauschal ein „Haltungsproblem“ bescheinigte. Sie stellte sich danach zwar schnell vor ihre Soldaten, doch immer noch ist laut Bartels das Vertrauensverhältnis zwischen Truppe und Chefin „in Reparatur“. Bartels beklagte, dass 21 000 Stellen nicht besetzt seien und sich ein „Übermaß an Zentralisierung und Bürokratisierung“ entwickelt habe.

Ist Besserung in Sicht?

Von der Leyen hat mit ihrem Stab mehrere „Trendwenden“ beschlossen, um bei Personal, Material und Finanzen Schritt für Schritt Land zu gewinnen. Allerdings erwartet das Ministerium selbst, das Ziel erst 2030 erreicht zu haben. Auch Bartels beklagt, dass Ankündigungen noch keine Umsetzung seien. Im Etat zeichne sich das versprochene Mehr an Mitteln noch nicht ab. Im neuen Koalitionsvertrag steht nur eine Milliarde mehr, verknüpft mit der Absicht, frei werdende Spielräume „prioritär“ für Bundeswehr und Entwicklung zu nutzen.

Was könnte kurzfristig wirken?

Bei den Vorbereitungen mehrerer tausend Soldaten auf eine erhöhte Bereitschaft für die Nato im Osten hat die Bundeswehrführung versprochen, bis Juni alle Lücken zu füllen und das Material, vom Panzer bis zum Zelt, aus anderen Truppenteilen abzuziehen oder zusätzlich zu kaufen. Der Wehrbeauftragte berichtet vom Wunsch vieler Soldaten nach einem „Befreiungsschlag“, mit dem „liebevoll gemanagte schnelle Lösungen für sichtbare, spürbare Verbesserungen“, etwa bei der neuen Kampfbekleidung, bei Funkgeräten, Nachtsichtbrillen oder ausfallenden Flugstunden sorgen.

Wie steht das Parlament zur Parlamentsarmee?

Auf dem Papier sehr engagiert. Auch der neue Koalitionsvertrag zeichnet sich durch die Absicht aus, mehr Verantwortung für Soldaten und Verteidigung zu übernehmen. Doch größere Schwerpunkte legten Union und SPD bislang auf andere neue Projekte von der Mütterrente bis zum Baukindergeld. Die lange Regierungsbildung wirkt zusätzlich erschwerend. Heute tagt der Verteidigungsausschuss erstmals seit acht Monaten wieder mit einer konkreten Tagesordnung. Und solange der neue Haushalt nicht beschlossen ist, kann das Verteidigungsministerium keine neuen Projekte in nennenswertem Volumen anstoßen. Das zieht sich wohl noch bis in den Sommer so hin.

Wie steht es um die Menschenrechte?

Schikane und Misshandlungen tauchen auch im jüngsten Bericht auf. Tagesaktuell gab es auch zu den gefährlichen Märschen in Pfullendorf und Munster neue Ermittlungsergebnisse: Hitzeschlag, Ausbilderversagen (siehe unten). Alles müsse sorgfältig ausgewertet werden und Konsequenzen haben, sagte Bartels.

Gibt es auch Positives?

Von der Leyen habe insbesondere beim Zusammenspiel der Streitkräfte in Europa gute Fortschritte erzielt, lobte Bartels. Auch den nun fertigen Traditionserlass zum Umgang mit der eigenen Geschichte und der Wehrmacht würdigte er.

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