GA-Serie So denken die Kirchen über Sterbehilfe

BONN · Rainer Maria Woelki ist erst 58 Jahre alt und damit vermutlich noch viele Jahre von seinem Lebensende entfernt. Doch Angst vor unerträglichen Schmerzen und vor dem Verlust der Selbstbestimmung, die habe er auch jetzt schon, sagte er in einem Zeitungsinterview.

 Die letzte Ruhestätte: Ein Grab auf Bonns Altem Friedhof.

Die letzte Ruhestätte: Ein Grab auf Bonns Altem Friedhof.

Foto: Volker Lannert

Der Kölner Erzbischof ist einer der kirchlichen Wortführer in der Debatte um die Sterbehilfe. Seine Position dabei: Die Gesellschaft sollte lieber darüber nachdenken, wie sie Menschen würdevoll auf ihrem letzten Weg begleitet, statt einen schnellen und selbst herbeigeführten Tod am Lebensende zu ermöglichen.

Es müsse darum gehen, Menschen kurz vor dem Tod Schmerzen zu nehmen und sie nicht allein zu lassen. Außerdem dürfe Schwerkranken nicht das Gefühl gegeben werden, eine Last zu sein.

"Wenn ein Patient leidet, ist es Aufgabe des Arztes, ihm die Schmerzen zu nehmen, nicht das Leben", sagte Woelki in einem Interview mit dem GA Zeitung. Dabei sei die indirekte Form der Sterbehilfe ethisch-theologisch von der Kirche zugelassen. Darunter versteht er, dass starke Medikamente die Lebensspanne verkürzen könnten. Dabei werde billigend in Kauf genommen, "dass ein Mensch in Folge der schmerzlindernden Medikation stirbt - intendiert dieses Sterben aber nicht", so Woelki im GA.

Prompte Ablehnung kommt vom Kölner Kardinal, wenn man ihn darauf anspricht, ob es nicht ein Akt der Selbstbestimmung wäre, dem Patienten zu ermöglichen, den Arzt zu veranlassen, das eigene Leben zu beenden.

"Mir scheint, das Wort Selbstbestimmung wird oft falsch verwendet?", sagte Woelki in diesem Zusammenhang einmal. "Wer sich getrieben von schrecklichen Schmerzen oder aus verzweifelter Einsamkeit töten lassen will, oder um Hilfe bei der Selbsttötung bittet, der stirbt nicht selbstbestimmt, sondern bestimmt von Schmerz und Verzweiflung."

Woelki setzt dagegen das Modell der Hospize. Viele Menschen hätten Angst davor, dass ihnen ausgerechnet in höchster Not alle Entscheidungen über sich selbst aus der Hand genommen würden. Im Krankenhaus sei "trotz allen Mühens um eine gute Sterbekultur der Tod doch letztlich ein Fremdkörper". Das sei im Hospiz ganz anders.

Hier "ist das Sterben die Hauptsache, und nicht der Arzt bestimmt, sondern der Sterbende". Wenn der Mensch nicht mehr weiterleben wolle, dann dürfe, ja dann solle man einen Menschen sogar sterben lassen. "Im Hospiz kämpft man nicht gegen das Sterben, weil man nicht gegen das Leben kämpft und deswegen tötet man auch nicht", schrieb Woelki einmal in einem Zeitungsbeitrag.

Die Hospizbewegung sorge dafür, "dass die ausgefeiltesten Methoden der Schmerzbehandlung zum Einsatz kommen und dass man zu Hause oder im Hospiz an der Hand eines Menschen sterben kann". Dazu gehört aus Sicht der katholischen Kirche eben auch eine Form der sogenannten passiven Sterbehilfe, die dem Arzt in quasi aussichtslosen Fällen das Beenden einer bestimmten Therapie ermöglicht, wodurch der Sterbeprozess beschleunigt wird.

Kirche lehnt aktive Sterbehilfe ab

Aktive Sterbehilfe - entweder durch Verlangen von Patienten nach einem schnellen Tod durch den Arzt oder durch Vereine lehnt die Kirche ab. Diese Form der Sterbehilfe gleiche dem Selbstmord als eine Art "eigener Tod von fremder Hilfe", sagte der Mainzer Kardinal Karl Lehmann am Rande einer Sitzung der Deutschen Bischofskonferenz, "Tötung wird neu legitimiert. Sie ist eine Dienstleistung".

Gewohnt deutlich hat sich jüngst auch Papst Franziskus geäußert. Die aktive Sterbehilfe sei ein Angriff auf das Leben, sagte er jüngst bei einer Audienz in Rom - ähnlich wie die Abtreibung und der Tod Hunderter Migranten im Mittelmeer.

Auch die Leitung der evangelischen Kirche lehnt jede Form von organisierter Suizidbeihilfe ab. "In Würde sterben zu dürfen, heißt eben nicht, alle Optionen zu haben, um sich jederzeit selbst töten zu können", sagte jüngst der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Wichtig sei, "dass wir eine Kultur des Sterbens entwickeln, die nicht länger von der Angst geleitet ist, sondern in der die Liebe Raum gewinnt".

Weil eben die Leitungen der beiden großen Kirchen nahezu auf einer Linie liegen, hat Alois Glück, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), vor einigen Monaten ein Aktionsbündnis der beiden Volkskirchen mit der Hospizbewegung für mehr Hilfe zugunsten Schwerkranker und gegen jede Form aktiver Sterbehilfe angeregt. "Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe für alle Christen", so Glück.

Der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, würde dabei sicherlich mitmachen, hat er sich doch oft gegen aktive Sterbehilfe ausgesprochen. Gleichwohl forderte er immer wieder Respekt gegenüber jenen in der Kirche, die für sich einen assistierten Suizid in auswegloser Situation nicht ablehnten.

Im Blick hat Schneider dabei auch seine Frau Anne. Im Ernstfall würde er ihren Wunsch nach Sterbehilfe unterstützen, kündigte Schneider in einem Interview im vorigen Jahr an. "Das wäre zwar völlig gegen meine Überzeugung", sagte Schneider seinerzeit. "Aber am Ende würde ich sie wohl gegen meine Überzeugung aus Liebe begleiten. (...) Die Liebe ist entscheidend."

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