Porträt des SPD-Politikers Sigmar Gabriel: ein Minister auf Abwegen

Berlin · Sigmar Gabriel hat ein Raufbold-Image und das seit Jahren: Der 58-Jährige geht keiner Auseinandersetzung aus dem Weg. Die hat er nun auch mit Martin Schulz gesucht. Holger Möhle hat sich mit dem "Minister auf Abwegen" beschäftigt.

Sigmar Gabriel wird das nie los. Sein Raufbold-Image, immer etwas unberechenbar, auch sprunghaft, gelegentlich aufbrausend, aber eben auch hoch unterhaltsam, wenn er will. Gabriel, 58 Jahre alt, einst Englischlehrer in der Erwachsenenbildung, kann aus dem Stand einen Saal unterhalten. Thema beinahe egal.

Gabriel ist ein guter Welt(en)-Erklärer. Als Bundesumweltminister, der er von 2005 bis 2009 war, brachte er dem staunenden Publikum auf einer seiner Sommerreisen mühelos bei, dass es auch für den Eisbär Knut im Berliner Zoo nicht egal sei, wenn die Polarkappen schmelzen. Klimawandel. Wenn er einst im fränkischen Steigerwald bei Protesten von Bauern und Sägewerksbetreibern gegen die Einstufung des Waldes als Nationalpark auf Widerstand und Anfeindungen traf, ging er schnurstracks auf den Kontrahenten zu: „Schauen Sie, wir beide sind doch Mitglieder im Verein für deutliche Aussprache. Dann lassen Sie es uns auch so machen.“ Danach war meist Ruhe. Es gehört zu Gabriels Naturell, dass er keiner Auseinandersetzung aus dem Weg geht.

Konflikt mit Martin Schulz um Außenamt

In seinem Amt als geschäftsführender Außenminister muss Gabriel auch leisere Töne können. Ob zu Besuch bei den an deutschen Waffen interessierten Saudis oder als Gastgeber für den türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu zu Hause in seiner Heimatstadt Goslar – Gabriel beherrscht den diplomatischen Spagat grundsätzlich. Er will nur nicht immer. Wenn er angegriffen wird, startet er meist den Gegenangriff.

So wie vergangene Woche gegen den Mann, dem er vor Jahresfrist SPD-Vorsitz und Kanzlerkandidatur überließ: Martin Schulz. Zwischen beiden soll es die Verabredung gegeben haben, dass Gabriel im Falle einer weiteren Regierungsbeteiligung der SPD Außenminister bleiben kann. Doch dann greift Schulz nach dem Außenamt. Gabriel schlägt zurück, redet von Wortbruch und bringt in diesem Machtkampf seine Tochter Marie ins Spiel („...der Mann mit den Haaren im Gesicht“). Da wird Politik dann sehr schnell sehr persönlich – zu persönlich. Angeblich bedauert Gabriel diesen Angriff inzwischen. Aber die (von ihm selbst zitierten) Worte seiner Tochter sind jetzt in der Welt.

Gabriel muss sich mit Parteispitze gutstellen

Gabriel ist ein Familienmensch, der erst spät dazu wurde. Durch Zahnschmerz bei einem Außentermin 2008. Die behandelnde Zahnärztin Anke Stadler in der Notaufnahme der Uniklinik Halle lud er prompt zum Essen ein. Heute heißt sie Anke Gabriel und hat mit dem Außenminister, der noch eine erwachsene Tochter aus erster Ehe hat, zwei gemeinsame Töchter. Bei seiner kleinen Tochter sei ihm bewusstgeworden, wie alt er inzwischen sei, sagte er vor einem Jahr in jenem „Stern“-Interview, in dem er an allen Parteigremien vorbei seinen Verzicht auf SPD-Vorsitz und Kanzlerkandidatur bekannt gab. Er wolle schlicht mehr Zeit mit der Familie verbringen. Dabei ist der Posten des Außenministers für vieles bekannt, für mehr Familienzeit nicht.

Gabriel hat schon immer gerne auf den Putz gehauen. Früher organisierte er in seiner Heimatstadt Goslar den Protest gegen Franz Josef Strauß, als dieser 1980 als Kanzlerkandidat der Union in der Stadt war. Er, der mit 40 Jahren einst jüngste Ministerpräsident der Bundesrepublik war, galt lange als größtes politisches Talent der SPD. Jetzt muss er, will er noch den Hauch einer Chance auf das Außenamt behalten, sich irgendwie mit der Parteispitze wieder gutstellen. Die Genossen nehmen ihm den jüngsten Angriff per Interview doch sehr übel. Gabriel kann auch Charme-Offensive. Es ist nur fraglich, ob das dieses Mal ausreicht.

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