Hohe Dunkelziffer Schutzbund: Kinderarmut deutlich höher als angenommen

Berlin · Bedrückend, eine Schande, ein Armutszeugnis - so fallen die Reaktionen auf eine neue Zahl zur Kinderarmut aus. Laut Kinderschutzbund sind viel mehr betroffen als bislang angenommen.

 Der Weg zum Jugendamt ist für viele Betroffene nicht leicht.

Der Weg zum Jugendamt ist für viele Betroffene nicht leicht.

Foto: Marcel Kusch

Etwa 4,4 Millionen Kinder in Deutschland sind nach Schätzungen des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB) von Armut betroffen - rund 1,4 Millionen mehr als bisher angenommen.

Dies sei ein "Armutszeugnis für ein reiches Land", betonte der Verband. Er forderte die Bundesregierung auf, entschlossener gegen die Kinderarmut vorzugehen. Deren Pläne etwa zur Erhöhung des Kinderzuschlags seien "völlig unzureichend".

Grund für die höheren Zahlen ist demnach, dass viele Familien staatliche Leistungen nicht in Anspruch nehmen, also in den Statistiken nicht erfasst werden. "Oft liegt es daran, dass die Eltern mit den bürokratischen Abläufen überfordert sind oder sich schlichtweg dafür schämen", sagte DKSB-Präsident Heinz Hilgers. Regierung und Behörden setzten auch bewusst auf den abschreckenden Faktor der Bürokratie. "Die Verschleierungsmethoden der Ministerien funktionieren gut", sagte Hilgers.

Die Bundesregierung müsse endlich handeln und die Reform des Kinderzuschlags angehen, forderte die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock. "Dazu gehört neben einer Erhöhung auf jeden Fall die automatische Auszahlung, damit die Hilfe auch da ankommt, wo sie gebraucht wird: bei den Kindern."

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, Verena Bentele, meinte: "Wir fordern die Bundesregierung auf, zielgerichtet und konsequent diejenigen zu unterstützen, die unsere Zukunft sind - ohne Wenn und Aber."

Der Schutzbund bezieht sich mit seinen Zahlen unter anderem auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen vom 18. Juni 2018. Sogenannte aufstockende Leistungen nach Hartz IV nähmen geschätzt nur etwa 50 Prozent der Berechtigten in Anspruch. Das allein betreffe rund 850.000 Kinder unter 18 Jahren.

Linken-Chefin Katja Kipping nannte die Zahlen bedrückend und sprach von einer "Schande für die Gesellschaft". "Der Kampf gegen Kinderarmut muss endlich absolute Priorität haben", appellierte Kipping an die Regierungskoalition aus Union und SPD.

Der Vorsitzende der Linken-Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, kritisierte: "Es ist geradezu zynisch, auf der einen Seite über den Fachkräftemangel zu schimpfen und auf der anderen Seite zuzulassen, dass Kindern gesellschaftliche Teilhabe verwehrt wird." Die Maßnahmen der Bundesregierung im Koalitionsvertrag seien völlig unzureichend.

DKSB-Präsident Hilgers sagte: "Zählen wir alles zusammen, kommen wir konservativ gerechnet auf eine Dunkelziffer von 1,4 Millionen Kindern. Alle diese Kinder sind offiziell nicht arm, doch sie fallen durch das Raster unseres Sozialstaates." Perspektivisch fordert der DKSB die Einführung einer einfachen und unbürokratischen Kindergrundsicherung.

Die Vize-Chefin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, kündigte an, dass ihre Fraktion ein großes Maßnahmenpaket auf den Weg bringen wolle. "Dazu gehört die Verbesserung des Kinderzuschlags und bessere Leistungen für Bildung und Teilhabe." Ein weiterer Schritt sei es, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort